Denen man nicht vergibt
ebenso, bis sie schließlich ihre Hände berühren konnten. Beide keuchten, und die Arme taten ihnen höllisch weh. »Na endlich«, stöhnte Sherlock. »Bloß noch ein bisschen, Nick. Schnell, ja so ist’s gut.«
Sherlock machte sich an die Arbeit. Beide wussten, dass sie nicht viel Zeit hatten. Dwight konnte jede Minute anhalten, die Treppe runterkommen und sie erschießen. O Gott, es war alles ihre Schuld. Sie war so überheblich, so selbstsicher gewesen - und jetzt machte sie sich die schlimmsten Vorwürfe. Sie musste an Sean denken, an Dillon, und da wusste sie, dass sie einfach nicht sterben durfte. Sie durfte nicht sterben.
Konzentriert arbeitete sie an dem Knoten. Endlich, endlich löste er sich. »Nick, streif die Fesseln schnell ab, rasch. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Nick befreite ihre Hände, band ihre Fußgelenke los und machte sich über Sherlocks Fesseln her. Sie keuchte, aber nicht vor Angst, sondern vor Hoffnung. Rasch, rasch, es blieb so wenig Zeit.
Das Boot wurde langsamer.
»Schnell, Nick!«
Geschafft, ihre Hände waren frei. Beide nestelten in Windeseile Sherlocks Fußfesseln auf. Dann zogen sie sich gegenseitig auf die Füße. Beiden waren die Arme und Füße eingeschlafen. »Er hat mein Handy«, keuchte Sherlock, »verfluchter Mist.«
Das Boot hielt an.
Sherlock taumelte in die Kombüsenecke und zog Schubladen heraus, bis sie die mit den Messern fand. »Hier, Nick«, sagte sie und reichte ihr ein Messer. »Kannst du dich schon wieder bewegen? Mist, schade, dass ich meine SIG nicht hier habe. Egal, das hier ist wenigstens ein schönes scharfes Steakmesser. Das Boot hat angehalten. Wir sind doch nicht in der Mitte des Sees. Wir sind an einem Pier. Ich war sicher, er würde uns einfach erschießen und über Bord werfen. Glaubst du, das ist Crane Island?«
»Ja, das ist Crane Island«, ertönte plötzlich Dwights Stimme. Er kam die Treppe herunter. »Wenn ich’s mir recht überlege, hätte ich Cleo auch besser hier vergraben sollen. Hier ist nämlich Jagen verboten, wisst ihr? Na so was, sieh mal einer an, ihr habt euch losgebunden. Tüchtig, tüchtig, Agentin Sherlock. Aber jetzt das Messer weg, meine Damen. Ihr kommt ganz langsam mit mir nach oben, die Hände auf dem Kopf. Sofort, oder ich erschieße euch auf der Stelle. O ja, ihr werdet an einem richtig schönen Fleckchen Erde sterben. Ich werde euch unter ein paar schönen alten Kiefern auf Senator Rothmans Grundstück begraben.«
Nick ließ das Steakmesser fallen. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und brach in ein lautes, plärrendes Schluchzen aus.
Dwight lachte. Er hatte seine Lederjacke ausgezogen. Er trug ein schwarzes T-Shirt, eine Khakihose mit einem Silbergürtel und einer großen Türkisschnalle, dazu Turnschuhe. Er lachte, amüsierte sich königlich über ihren Zusammenbruch. »Ich wusste, du würdest zusammenklappen, wenn du mal begreifst, dass du nicht mehr lange zu leben hast. Von ’ner FBI-Agentin erwarte ich mir natürlich mehr. Heulen gilt da nicht.
Jetzt reiß dich zusammen, Nicola. Ich werde dich nicht gleich umbringen. Denk an all die Schwierigkeiten, die du mir und der armen Albia gemacht hast. Dafür muss ich dich bestrafen, ich hab’s Albia versprochen. Ihr werdet euch noch wundern, was ich mit euch vorhabe.«
»Und das wäre?«, fragte Sherlock.
»Wirst schon sehen, Täubchen«, sagte er. »Nach Ihnen, Agentin.«
Sherlock nickte Nick zu, wandte sich um und kletterte die neun Holzstufen zum Deck hinauf.
Nick nickte ebenfalls und schluchzte dann noch lauter. Sie wurde mit einem Schubs in den Rücken in Bewegung gesetzt und taumelte hinter Sherlock her. Oben an Deck ließ sie den Kopf hängen und heulte wie ein Schlosshund. Sie sah, dass sie an einem langen Holzpier festgemacht hatten. Dahinter lag ein schmaler, von Treibholz bedeckter Streifen Strand. Es war eine wilde Landschaft, überall, so weit das Auge reichte, dichte, verfilzte Kiefernwälder.
»Herzlich willkommen auf Crane Island. Albia hat mir versichert, dass wir hier ganz bestimmt ungestört sind. Ein perfekter Ort, genau das, was ich gesucht habe. Jetzt komm schon, Nicola, nicht trödeln. Reiß dich zusammen. Ich hätte wirklich mehr von dir erwartet. Nicht mal die arme Cleo hat sich so angestellt wie du.«
Aber Nick heulte nur noch lauter. Sie fiel auf die Knie und kroch auf allen vieren zu Dwight hin, umschlang seine Füße, seine Knie und flehte schluchzend: »Bitte lass uns frei, Dwight. Ich sag auch kein Wort, ich schwör’s.
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