Denn Gruen Ist Der Tod
bevor sie es wieder in die Schublade steckte und ihre Beine aus dem Bett schwang. Sie überschlug, dass sie, das Ankleiden und Zurechtmachen eingerechnet, mehr als eine Stunde zum Fundort brauchen würde. Northwick lag am anderen Ende der Grafschaft und war nicht ganz einfach zu erreichen, aber den Polizisten machte die lange Anreise nichts aus, sie hatten ja unterwegs etwas, worauf sie sich freuen konnten.
Sam schlurfte zum Fenster, schob die Vorhänge zurück und öffnete es. Das Gewitter war vorüber, aber in der Ferne grollte noch der Donner über das Land. Die Schwüle, die seit Wochen auf der Stadt gelastet hatte, war verschwunden und die Luft war frisch und klar. Sie strömte von der Nordsee über den Osten Englands direkt in ihr offenes Fenster hinein und kühlte und belebte ihren nackten Körper. Der Geruch von heftigem Regen hing noch in der Nachtluft und sie atmete tief ein. Das erinnerte sie daran, dass ihr Geruchssinn noch ganz in Ordnung war und durch den Verwesungsgestank in den Leichenhallen noch nicht allzu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden war. Sie betrachtete ihren Garten. Die starken Regenfälle waren eine willkommene Abwechslung von dem langen heißen Sommer gewesen, den das Land gerade erlebt hatte. Der Garten war zu neuem Leben erwacht und hatte das Wasser aufgesaugt wie ein Schwamm. Sie freute sich auf die Gartenarbeit, die jetzt anstand. Sie schloss das Fenster, schob den Riegel vor und ging Richtung Badezimmer, um zu duschen.
Sie ertappte sich bei der Überlegung, dass Adams mit fast hundertprozentiger Sicherheit auch am Fundort sein würde, wenn Farmer mit diesem Fall befasst war.
Sam kam genauso spät wie üblich. Sie hatte es wieder einmal geschafft, ihren Autoschlüssel zu verbummeln, und hatte schließlich den Ersatzschlüssel nehmen müssen, den sie für solche Zwecke in der Küchenschublade deponiert hatte. Sie stellte sich vor, dass Farmer wahrscheinlich schon wieder nervös auf- und abschritt und ungeduldig darauf wartete, dass sie eintraf, um endlich ihr Urteil über den Toten abzugeben. Sie bog in das Dorf ein. Die Kirche war nicht schwer zu finden: Sie musste nur dem Blaulicht folgen, das von weitem zu sehen war. Die Leute von der Presse waren auch schon da und belagerten auf der Suche nach ihrer Titelstory den Friedhof. Nur ein gelbschwarzes Absperrungsband und ein einzelner Wachmann hinderten sie daran, in den Friedhof einzufallen und den Fundort zu zertrampeln. Die Presse schien immer sehr schnell von großen Fällen zu erfahren, mit Sicherheit bekam sie den einen oder anderen Tip von einem hilfsbereiten Detective im Morddezernat. Das war zwar streng verboten, aber so war es nun einmal. Sam fuhr langsam durch die Reportermenge, schirmte ihr Gesicht mit der Hand vor den Kamerablitzen ab und ignorierte das Geklopfe an die Scheiben ihres Wagens.
An der Kirche wurde sie von einem jungen Constable angehalten, der ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete. Ihm schien kalt zu sein, wahrscheinlich war er schon einige Stunden hier. Bis jeder Polizist mit seinem Hund den Fundort besucht und seine Meinung zur Lage geäußert hatte, konnte es Stunden dauern, bevor endlich jemand auf die Idee kam, den Pathologen rufen zu lassen. Sie öffnete das Handschuhfach und kramte zwischen Schokoladenpapier, Rabattmärkchen und Landkarten nach ihrem Ausweis. Endlich bekam sie das schäbige Plastikkärtchen, auf dem ein noch viel schäbigeres Foto von ihr war, zu fassen und zeigte es dem Constable.
»Doktor Ryan, zuständige Pathologin.«
Er nickte und nach einer kleinen Notiz auf seinem Klemmbrett erklärte er ihr, wo sie neben der Kirche parken konnte. Sie dankte ihm, ließ ihre Kennkarte wieder im Chaos ihres Handschuhfachs verschwinden und fuhr langsam die Straße entlang auf eine kleine Lücke in einer schier endlosen Schlange von Polizeiwagen zu.
Polizeibeamte schwärmten über das Gelände. Einige Uniformierte mit den obligatorischen schwarzen Helmen auf den Ohren, dann die Leute von der Spurensicherung in ihren weißen Overalls und die Ermittler. Letztere wanderten in ernste Gespräche vertieft umher, taten aber offensichtlich nicht viel.
Sie stieg aus dem Auto und ging durch das große Tor. Der Weg zum Fundort war markiert. Auf halbem Wege kam der Leiter der Spurensicherung auf sie zu und gab ihr einen weißen Overall. Es war Vorschrift, ihn zu tragen, und außerdem konnte sie so wenigstens ihre eigene Kleidung schützen. Sam achtete immer sehr auf ihr Erscheinungsbild:
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