Denn Gruen Ist Der Tod
»Haben wir schon die Lufttemperatur?«
Diese Frage kam einer Beleidigung gleich – Colin hatte schließlich den Großteil seines Arbeitslebens in dieser Abteilung verbracht. Es war, als zweifelte Sam an seiner Kompetenz. Nachdem er ihr stumm zugenickt hatte, fuhr Sam fort.
»Auch in der Gruft?«
Colin nickte wieder.
»Der Wetterdienst soll uns noch mitteilen, welche Durchschnittstemperaturen hierin den letzten Wochen herrschten.«
Colin fing an, sich zu ärgern. Das gefiel ihm selbst gar nicht, denn es passte nicht zu seiner coolen, ruhigen Art, die er so gern zur Schau trug.
»Alles im Griff, Doktor Ryan, machen Sie sich keine Sorgen!«
Sein Tonfall verriet Sam, dass sie ihn beleidigt haben musste. »Da wollte ich einem alten Hasen wieder schlaue Tipps geben, nicht wahr, Colin?«, sagte sie einlenkend.
Da er nur halbherzig nickte, aber nicht antwortete, wandte Sam sich wieder der Leiche zu. Der Madenbefall war enorm, unter den noch verbliebenen Hautresten wimmelte es nur so, was den Eindruck erweckte, als bewege sich der Körper. Eine einzige Fliege konnte über dreihundert Eier legen und diese Leiche hier war von vielen Fliegen besucht worden.
»Ich hätte gern Proben von diesen Maden. Haben wir schon einen Insektenexperten bestellt?«
»Wir versuchen es noch. Wir haben Schwierigkeiten, einen zu bekommen.«
»Irgendwelche Einwände, dass ich ein paar mitnehme?«
Colin schüttelte den Kopf. »Ich hole Ihnen etwas Formalin.«
Die Maden spielten eine wichtige Rolle. Sie würden ihr dabei behilflich sein, den Todeszeitpunkt wenigstens halbwegs genau zu bestimmen. Entgegen der landläufigen Meinung war es ziemlich schwierig, in so einem Fall Feststellungen über den Todeszeitpunkt zu treffen. Da musste einem jedes Mittel recht sein, und wenn es eine Made war. Sam wühlte in ihrer Tasche und holte ein kleines Probenglas heraus. Sie pflückte ein paar der kleinen weißen Tiere von der Leiche und ließ sie in das Gefäß fallen, bevor sie es versiegelte und einem der Beamten reichte.
Colin kam mit einem zweiten mit Formalin gefüllten Gefäß zurück, hockte sich neben sie, sammelte ebenfalls ein paar Maden ein und sah zu, wie sie langsam auf den Boden des Gläschens sanken. Sam zog das Thermometer aus der Tasche und schüttelte es, bevor sie es in das Madengewimmel am Hals der Leiche steckte. Sie musste die Temperatur ermitteln, bei der sich die Tiere entwickelt hatten. Je kälter es war, desto langsamer schlüpften sie aus ihren Eiern, je wärmer, desto schneller. Jedes Detail war hilfreich. Als sie damit fertig war, bat sie Colin, den Körper vorsichtig auf die Seite zu rollen. Er ging dabei schnell und professionell vor und bemühte sich, weiteren Schaden zu verhindern. Nach einem schnellen Blick auf den Rücken des Toten, bei dem sie keine weiteren Verletzungen feststellte, wurde er wieder zurückgerollt. Sam sah auf die Uhr und stand auf.
»Erste Untersuchung beendet um ein Uhr achtundfünfzig.«
Farmer und Adams kontrollierten ihre Uhren und nickten.
»Obduktion dann um zehn, wenn's recht ist?«
Die beiden nickten erneut.
»Also gut, wir sehen uns dann.«
Als Sam sich vom Schauplatz entfernte, hefteten Farmer und Adams sich an ihre Fersen.
»Was können Sie uns sagen?«, fragte Farmer.
»Nicht viel mehr als das, was Sie schon wissen. Er wurde sicherlich erdrosselt und sowohl seine Arme als auch sein Oberkörper weisen Verletzungen auf. Aber ob sie von unserem Killer verursacht wurden oder erst später, als er schon hier lag, kann ich nicht sagen, bevor ich ihn gereinigt habe. Hat man seine Kleider inzwischen gefunden?«
»Nein, immer noch nicht, aber wir suchen weiter. Denken Sie, es könnte ein Sexualdelikt gewesen sein? Schließlich war er nackt.«
»Das kann man nach so langer Zeit schwer nachweisen.«
Farmer fuhr mit ihrem »Kreuzverhör« fort. »Wie lange ist er schon tot?«
Sam zuckte mit den Schultern. »Ein paar Wochen vielleicht. Ich werde versuchen, es so genau wie möglich zu bestimmen, aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen. Vielleicht habe ich bessere Nachrichten für Sie, wenn ich die Obduktion beendet habe und der Insektenexperte Zeit hatte, die Maden zu untersuchen.«
Während Sam sich aus ihrem weißen Overall schälte, warf Farmer ihr einen kritischen Blick zu. »Da waren Doktor Owens Angaben aber präziser.«
Sam reagierte gereizt darauf, dass jemand ihr Urteil anzweifeln wollte: »Ach, tatsächlich? Wenn Sie zu diesem Zeitpunkt unbedingt schon mehr
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