Denn Gruen Ist Der Tod
zerrte noch einmal an ihm, doch ohne Ergebnis. Also hoffte er auf den nächsten Blitz, der auch nicht lange auf sich warten ließ. Reg nutzte sein strahlend blaues Licht, um erneut einen Blick in die Gruft zu werfen. In diesem Moment erkannte er, dass er gar nicht Scruff gepackt hatte. In seiner Hand kippte ihm ein Kopf entgegen, ein halb verwestes Gesicht starrte ihn an. Das Fleisch fiel schon von den Knochen und die Lippen waren verschwunden, so dass die Zähne freilagen und aussahen, als seien sie zu einer Art Grizzly-Lächeln gebleckt. Ein Auge fehlte, da war nur noch eine schwarze Vertiefung; das andere war aus seiner Höhle getreten, rot und blutig, und die Haut darum war weggefressen. Reg schrie auf, ließ den Kopf los und stolperte nach hinten. Als er auf seine Hand hinuntersah, bemerkte er, dass noch die Hälfte der Kopfhaut daran hing. Zitternd und in panischer Angst schüttelte er sie in das hohe, nasse Gras und rannte davon.
Es war wieder derselbe Traum gewesen, der, der sie schon den ganzen Monat verfolgte und sie jedes Mal mitten in der Nacht schweißgebadet aufschrecken ließ. Sie lag einen Moment lang benommen da, versuchte, sich zu beruhigen, und starrte in die Dunkelheit ihres Schlafzimmers. Ihre Brust hob und senkte sich schwer und sie bemühte sich verzweifelt, sich an die Bilder zu erinnern, die nur Sekunden zuvor in ihre Träume eingedrungen waren. Wie gewöhnlich fand sie sie jedoch nicht mehr; sie waren einfach verschwunden, wie ein Trugbild, abgetaucht in die dunklen Nischen ihres Unterbewusstseins, um sie in der nächsten Nacht wieder in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie wusste, dass es sehr lebhafte Träume waren, manchmal tauchten Fetzen daraus vor ihrem inneren Auge wieder auf, allesamt in Farbe. Aber die Gesichter, die sie dann sah, waren weiß und leer, sie erschienen aus dem Nichts, verschwanden wieder, um gleich darauf zurückzukehren und dann in die Leere davonzusegeln.
Das Läuten des Telefons auf ihrem Nachttisch brachte sie schließlich wieder in die Realität zurück. Sie stützte sich auf einen Ellbogen, knipste die kleine Lampe an und nahm den Hörer ab. Er rutschte ihr fast aus der Hand.
»Hallo? Hier Doktor Ryan.«
Sie kämpfte vergeblich gegen ihre bleierne Müdigkeit an. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang jung, selbstsicher und vor allem wach. Diese Tatsache allein verriet ihr, dass es sich um einen Polizisten handeln musste.
»Es tut mir Leid, Sie zu stören, Doktor Ryan, aber wir haben bei der Kirche St. Mary's eine Leiche gefunden und ich wollte Sie fragen, ob Sie kommen können. Sie ist in keinem ganz einwandfreien Zustand.«
Sam war von dieser fachmännischen Beurteilung eines merkwürdigen Todesfalls beeindruckt. Sie musste aus einer dieser zahlreichen Krimiserien stammen, die das Fernsehen mittlerweile überschwemmt hatten. Abgesehen davon, was sollte sie darauf schon antworten? »Nein, tut mir Leid, heute ist mein freier Tag und ich gehe einkaufen«? Sie ärgerte sich, versuchte aber, die Fassung zu wahren.
»Ich dachte, Doktor Stuart hätte Bereitschaft?«
»Hat er auch, aber wir können ihn nicht erreichen, er reagiert nicht auf seinen Pieper. Deshalb rufen wir Sie so spät noch an.«
»Wahrscheinlich wieder mal mit seinem Liebesleben beschäftigt«, dachte Sam finster. Allmählich wurde sie richtig wach.
»Natürlich komme ich … Einen Moment bitte, ich muss mir was zum Schreiben holen.«
Sie öffnete die Schublade ihres Nachttisches, kramte darin herum und fand ein kleines schwarzes Notizbuch und einen Stift. Sie setzte sich auf, legte sich das Buch auf die Knie und versuchte sich zu konzentrieren. »Okay, ich höre. Wo ist es?«
Seine Stimme klang so schrill, dass Sam zusammenzuckte. »St. Mary's, die Kirche in Northwick. Sie nehmen am besten die B 381 stadtauswärts, etwa zwanzig Meilen …«
»Ja, ich weiß, wo das ist, danke«, unterbrach ihn Sam.
Sie wusste, dass er nur helfen wollte, aber auf seine Beflissenheit legte sie im Moment keinen Wert.
»Direkt am Tor wartet ein Polizeibeamter, um ihnen den Weg zum Fundort zu weisen. Superintendent Farmer ist auch schon da.« Diese Worte klangen, als wolle er sie warnen, sich lieber etwas zu beeilen. Aber sie ließ sich von Farmer oder irgendjemand sonst gewiss nicht einschüchtern. »Ja, vielen Dank. Ich werde in ungefähr einer Stunde dort sein.«
Sie legte den Hörer auf die Gabel und sah auf ihren Wecker: null Uhr achtundzwanzig. Sie notierte die Zeit in ihrem Büchlein,
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