Der 18 Schluessel
Fremde endlich seinen Sprechgesang, und mit dem Verklingen der letzten Silben verschwand augenblicklich der unerträgliche Druck auf Rösners Kopf. Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob er sich, wandte Rösner das Gesicht zu, welches die klaren Konturen der Jugend noch nicht gänzlich abgelegt hatte. Das Haar fiel dem Fremden dunkelbraun und halblang auf die Schultern. Oh Gott, er war so schön, wie ein Mensch nur sein konnte! Rösner war in seinem ganzen Leben so etwas noch nicht untergekommen. Wer war er? Woher war er gekommen? Was war das für eine Sprache, die so schmerzhaft im Kopf nachhallte. Der einzige noch geöffnete Eingang war der zum Kardinal-Höffner-Platz, und den hatte er die ganze Zeit im Auge gehabt. War der Mann etwa nackt über die Domplatte gelaufen – gerade jetzt, wo auf dem Roncalliplatz der jährliche Weihnachtsmarkt stattfand, und die Domplatte von Menschen überlaufen war? Er wäre doch sofort aufgefallen! Und was waren das für Wunden auf seinen Schulterblättern? Fragen über Fragen rasten durch Adelbert Rösners Verstand und verlangten nach Antworten.
Der Fremde schien Rösners Misstrauen zu spüren, denn er wandte sich ohne Vorwarnung um, und sah sich nach einem Fluchtweg um. Er schien verwirrt, so als wäre ihm dieser Ort gleichzeitig fremd und vertraut. Schließlich entdeckte er am Ende des Langhauses das Westportal und lief kurz darauf am überraschten Domaufseher vorbei in Richtung Ausgang.
„Daemone ... nunc vicisti“, Widersacher ... nun hast du gesiegt!
Das war unheimlich. Rösner wusste nicht, was er tun sollte ... die Polizei rufen oder lieber zuerst die Erzdiözese und den Bischof verständigen? Sein Gefühl riet ihm, die Polizei aus dieser Sache herauszuhalten. Also der Bischof! Er sah dem Fliehenden unschlüssig hinterher und starrte dann hinunter auf die in Blut geschriebenen Zeichen. Dann fiel Rösner ein, dass er dies alles nicht würde erklären können, wenn der Fremde davonlief. Niemand würde ihm das hier glauben. „Warten Sie! Sie können nicht einfach weglaufen. Ich muss das hier doch irgendwie erklären!“
Leise vor sich hinfluchend trat Eliana in die Pedale ihres alten Fahrrades. Das Schneegestöber, das fast ihre Nase und ihre Hände gefrieren ließ und die flackernde Lampe, vom altersschwachen Dynamo ihres Fahrrades angetrieben, ließen ihr höchstens zwei Meter Sicht auf der Domplatte. Das war typisch für ihr Glück. Den ganzen Tag hatte es nicht geschneit und auch gestern nicht und vorgestern, sodass sie sich gedacht hatte, sie könnte sich das Fahrgeld für die Straßenbahn sparen und eine Radelwoche einlegen, bevor der Winter endgültig durchbrach und sie auf Bus und Bahn angewiesen wäre - und es wäre ja auch alles gut gegangen, wäre nicht Gabriel, ihr Kartäuserkater, gewesen!
Der Weihnachtsmarkt hatte erst vor einer Stunde geschlossen, doch die gesamte Domplatte war wie leergefegt. Der Temperaturabfall und der Schneesturm waren wie aus dem Nichts gekommen – fast schon unheimlich! Von ihrem Wohnzimmerfester hatte Eliana zusehen können, wie die Menschen vom Roncalliplatz über den Kardinal-Höffner-Platz Richtung Bahnhof vor dem Eisregen geflohen waren. Es hatte ihr eine gewisse Genugtuung bereitet; jedes Jahr die Geräuschkulisse des Weihnachtsmarktes von Ende November bis Ende Dezember von elf Uhr am Morgen bis elf Uhr am Abend. Stille Nacht? Nicht für diejenigen, die in der Nähe des Doms wohnten!
Doch dann hatte der Kater die letzte Dose Katzenfutter auf ihren Teppich gekotzt, und Eliana befand sich inmitten des Schneetreibens auf dem Weg zur Tankstelle, um neues Futter zu kaufen. Ein Weihnachtsmarkt mit rührseliger Musik war eine Sache, aber ein unzufriedener Kater, der sie die ganze Nacht nicht schlafen ließ, weil er Hunger hatte, noch einmal eine andere.
Mit der fast erfrorenen Hand zog Eliana den Schal dichter vor ihr Gesicht. Sie hatte es beinahe geschafft; im Korb auf dem Gepäckträger rappelten die Dosen mit Katzenfutter. Ihre Wohnung lag nah an der Domplatte in Nähe der Buchhandlung, in der sie arbeitete - der einzige Luxus, den Eliana sich von ihrem bescheidenen Buchhändlergehalt erlaubte. Hätte sie ihr Psychologiestudium nicht abgebrochen, hätte sie heute wahrscheinlich ein anderes Leben geführt und mehr Geld am Ende des Monats auf dem Konto. Eliana biss die Zähne zusammen und ermahnte sich wie so oft, nicht in der Vergangenheit zu leben. Es war halt alles anders gekommen!
Obwohl erst Mitternacht, war niemand
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