Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Tagen seit seinem Erwachen hatte er noch nicht oft aufrecht gesessen.
»Ich muss«, erwiderte der Sitha mit niedergeschlagenen Augen, als könne er Simons flehenden Blick nicht ertragen. »Ich habe Sijandi und Ki’ushapo bereits vorausgeschickt, aber meine eigene Anwesenheit in Jao é-Tinukai’i ist dringend erforderlich. Ein oder zwei Tage werde ich noch bleiben, Seoman, aber weiter werde ich meinen Aufbruch nicht hinauszögern können.«
»Ihr müsst mir helfen, Binabik zu befreien!« Simon hob die Füße vom kalten Steinboden zurück ins Bett. »Ihr habt gesagt, die Trolle vertrauten Euch. Macht, dass sie Binabik freilassen. Dann können wir alle zusammen reisen.«
Jiriki stieß einen dünnen Pfiff aus. »So einfach ist es nicht, junger Seoman«, versetzte er fast ungeduldig. »Ich besitze weder das Recht noch die Macht, irgendwelchen Einfluss auf die Qanuc auszuüben. Außerdem habe ich andere Verpflichtungen, die du nicht verstehenwürdest. Ich bin nur deshalb so lange geblieben, weil ich dich wieder auf den Beinen sehen wollte. Mein Onkel Khendraja’aro ist schon längst nach Jao é-Tinukai’i zurückgekehrt, und die Verantwortung gegenüber meinem Haus und meiner Sippe zwingt mich, ihm zu folgen.«
»Zwingt Euch? Aber Ihr seid ein Prinz!«
Der Sitha schüttelte den Kopf. »Das Wort bedeutet in unserer Sprache nicht dasselbe wie bei euch, Seoman. Ich gehöre dem Herrscherhaus an, aber ich gebe keine Befehle und regiere über niemanden. Und auch mich regiert niemand, glücklicherweise – doch es gibt Dinge und Zeiten, die eine Ausnahme machen. Meine Eltern haben mitgeteilt, dass jetzt ein solcher Zeitpunkt ist.« Simon glaubte in Jirikis Stimme einen Unterton von Zorn zu vernehmen. »Aber hab keine Angst. Du und Haestan, ihr seid keine Gefangenen. Die Qanuc ehren euch. Sie werden euch gehen lassen, sobald ihr es wünscht.«
»Aber ich gehe nicht ohne Binabik.« Simon zog den Mantel fester um seinen Körper. »Und auch nicht ohne Sludig.«
In der Türöffnung erschien eine kleine dunkle Gestalt und hüstelte höflich. Jiriki sah über die Schulter und nickte. Die alte Qanucfrau trat ein und setzte einen dampfenden Topf vor Jirikis Füße, um dann aus ihrem zeltartigen Schafspelzmantel rasch drei Schüsseln zutage zu fördern und sie im Halbkreis aufzustellen. Obwohl ihre winzigen Finger behende arbeiteten und das runzlige Gesicht mit den runden Wangen ausdruckslos blieb, erkannte Simon einen Schimmer von Furcht in ihren Augen, als sie für eine Sekunde aufsah und seinem Blick begegnete. Sobald sie fertig war, entfernte sie sich eilig rückwärtsgehend aus der Höhle und verschwand so lautlos unter der Türklappe, wie sie hereingekommen war.
Wovor hat sie Angst? , fragte sich Simon. Jiriki? Aber Binabik hat gesagt, Qanuc und Sithi hätten sich immer vertragen – mehr oder weniger jedenfalls.
Plötzlich dachte er an sich selbst: doppelt so groß wie ein Troll, rotköpfig, mit einem behaarten Gesicht, in dem der erste Männerbart spross; dabei dürr wie ein Stecken, aber das konnte die alte Qanucfrau nicht wissen, in Decken eingepackt, wie er war. Welchen Unterschied gab es für das Volk von Yiqanuc zwischen ihm undeinem verhassten Rimmersmann? Hatte nicht Sludigs Volk seit Jahrhunderten mit den Trollen Krieg geführt?
»Möchtest du etwas hiervon, Seoman?«, fragte Jiriki und goss eine dampfende Flüssigkeit aus dem Topf: »Man hat dir eine Schale hingestellt.«
Simon streckte die Hand aus. »Ist es wieder Suppe?«
»Es ist Aka, wie die Qanuc sagen – oder, wie du es nennen würdest, Tee.«
»Tee!« Begierig griff Simon nach der Schale. Judith, die Oberköchin auf dem Hochhorst, war sehr für Tee gewesen. Nach der langen Tagesarbeit pflegte sie sich mit einem großen heißen Becher des Gebräus hinzusetzen, und in der Küche breiteten sich die Dämpfe der Kräuter von den südlichen Inseln aus, die darin zogen. Wenn sie guter Laune war, hatte Simon manchmal etwas davon abbekommen. Usires, wie er seine Heimat vermisste!
»Ich hätte nie gedacht …«, begann er und nahm einen großen, tiefen Zug, nur um ihn sofort hustend wieder auszuspucken. »Was ist das?«, würgte er hervor. »Das ist kein Tee!«
Vielleicht lächelte Jiriki, aber da er die Schale vor den Mund hielt und langsam daran nippte, konnte sich Simon nicht sicher sein. »Aber selbstverständlich ist es Tee«, erwiderte der Sitha. »Die Qanuc verwenden lediglich andere Kräuter als ihr Sudhoda’ya – natürlich. Wie könnte es
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