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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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Handy gefunden hatte, hörte das Summen auf. Sie starrte das Telefon an. Bitte, versuch es noch einmal, dachte sie. Bitte, ruf wieder an. Ihre Hände zitterten vor Kälte, denn sie hatte ihre Handschuhe verloren. Das Handy blieb stumm.
    Ich werde ihn jedenfalls nicht anrufen, dachte sie trotzig. Ich bin das Geburtstagskind, ich muss niemanden anrufen.
    Ihre klammen Finger fuhren ungelenk über die Tastatur. Sie lauschte. Am anderen Ende der Leitung klingelte es zweimal, dann ertönte ein Klicken. »Mark? Hast du gerade bei mir …?!«
    Â»Hallo, dies ist die Mailbox von Mark. Ich bin für unbestimmte Zeit verreist. In dringenden Fällen versuchen Sie es bei meiner Agentur unter der Nummer …«
    Die Tür in Emmas Rücken wurde aufgestoßen und traf sie an der Schulter. »Entschuldigung«, murmelte eine Männerstimme. Da lag Emmas Handy schon im Schneematsch vor ihren Füßen. Sie hätte nie gedacht, dass es aus so vielen einzelnen Teilen bestand.

E mma war immer noch wütend, als sie das Gerüst be stieg. Ich bin für unbestimmte Zeit verreist. In dringenden Fällen versuchen Sie es bei … Sie war so wütend, dass die Leitern und Bretter unter ihren Tritten erbebten und die Dübel im Mauerwerk der Kirche knirschten. Keine Sorge, dachte sie, es ist kein dringender Fall, ganz und gar nicht, ein hoffnungsloser Fall vielleicht, aber kein dringender.
    Die Tauben, die unter den bunten Glasfenstern nisteten, flatterten erschrocken auf und setzten sich dann gurrend wieder hin.
    Emma kletterte höher und höher hinauf in die Kuppel von Sankt Michael. Sie achtete nicht auf das Klirren und Scheppern der Scharniere, Winden und Schrauben des Gerüsts. Als sie oben war und von Nahem auf das Fresko der Heiligen Dreifaltigkeit starrte, an dem sie seit mehreren Wochen arbeitete – da wusste sie plötzlich, was daran nicht stimmte.
    Es war nicht das Blau des Himmels, der Goldgrund der Korona oder das Rot des Blutes Jesu Christi. Es waren auch nicht die Gesichter der Engel, der Faltenwurf der Gewänder oder das Gefieder der Taube. »Wissen Sie, was dieser Darstellung fehlt?!«, rief Emma hinunter ins Kirchenschiff, wo Monsignore Vitus Wenzel vom Erzbischöflichen Ordinariat stand. »Das Wissen um das Böse!«
    Der Monsignore, der gekommen war, um sich über die Fortschritte der Restaurierung zu informieren, blinzelte hinauf. »Warst du wieder bei deiner Bank?«, fragte er.
    Emma umklammerte die Holzbrüstung der obersten Plattform. »Nur sechs Wochen, länger hätte mein Vater das Geld nicht gebraucht! Aber obwohl sie seit Jahrzehnten befreundet sind, hat Dr. Schilfstengl sich geweigert, ihm einen weiteren Kredit einzuräumen!«
    Der Monsignore schirmte die Augen mit der flachen Hand gegen den herabrieselnden Staub ab. »Das ist betrüblich«, antwortete er. »Schließlich hat schon Jesus gesagt: Geben ist seliger denn Nehmen . Zumindest glaube ich, dass es Jesus war.«
    Â»Jesus hat auch die Geldwechsler aus dem Tempel vertrieben.« Emma zögerte, dann holte sie tief Luft. »Können Sie nicht mit ihm reden?«
    Der Monsignore ließ die Hand sinken. »Du willst, dass ich mit Jesus rede?«
    Â»Mit Dr. Schilfstengl! Wenn Sie ihn ins Gebet nehmen, lässt er sich vielleicht erweichen.«
    Â»Ich weiß nicht, ob das mit meinem Amt vereinbar ist. Aber in jedem Fall werde ich deine Sorgen in mein Gebet mit einschließen.«
    Â»Mehr können Sie nicht tun?«
    Â»Ich werde auch für deinen Vater beten – zu Sankt Judas, dem Schutzheiligen der hoffnungslosen Fälle.« Der Monsignore wandte sich der Ordensschwester zu, die nun neben ihm stand und ebenfalls zu Emma hinaufsah. »Erinnern Sie mich daran, Schwester Regina.«
    Â»Ich sollte Monsignore auch noch an den Kondolenzbrief erinnern«, sagte die Schwester leise. »Die Frau des Steuerberaters …«
    Die Akustik in der Kirche war so gut, dass Emma in der Kuppel sogar die geflüsterten Worte der Schwester hörte, genauso wie die leise Anweisung des Monsignore: »Du meine Güte, der Brief sollte längst in der Post sein. Holen Sie Ihren Block heraus, Schwester Regina. Wo waren wir stehen geblieben?«
    Â»So ist es mir heute eine schmerzliche Pflicht …«, las Schwester Regina vor.
    Â»So ist es mir heute eine schmerzliche Pflicht«, griff der Monsignore den Faden auf, »Ihnen – nicht nur als dem

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