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Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte

Titel: Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noel Hardy
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sagte die erste Stimme.
    Â»Das war nur ein Muskelreflex«, beruhigte die zweite.
    Die Musik übertönte die Stimmen, bis Emma wieder hören konnte, wie die erste sagte: »Herrje, noch einen Kunstfehler können wir uns hier nicht leisten. Die von der Rechtsabteilung stehen jetzt schon Kopf!«
    Â»Keine Sorge, ich habe das schon tausendmal gemacht. Die Dosierung ist für diesen Eingriff optimal. Was haben Sie denn?«
    Â»Da stimmt was nicht. Der Blinddarm scheint mir völlig in Ordnung zu sein. Schauen Sie mal.«
    Â»Keine Frage, gesünder kann ein Blinddarm nicht aussehen.« Die Stimmen schwiegen einen Moment. »Sollen wir ihn trotzdem rausholen?«
    Â»Ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir lieber eine Niere nehmen. Die könnten wir verkaufen und damit die Kosten für die Anwälte …«
    Â»Sehr witzig. Schauen Sie mal auf den Beipackzettel.«
    Â»Magda Bruch, siebenundfünfzig«, las eine dritte Stim me vor, »eingeliefert wegen Blinddarmdurchbruchs nach akuter Appendizitis.«
    Ich heiße Emma Brahms. Ich bin gesund. Ich bin nur …
    Â»Die ist doch nie im Leben siebenundfünfzig. Und was hat sie eigentlich da an der Stirn?«
    Â»Sieht wie eine Prellung aus oder eine Abschürfung. Ist das niemandem aufgefallen?«
    Â»Ich dachte, sie wäre den Sanis von der Trage gerutscht und auf den Boden ge…«
    Die Musik schwoll zu einem Crescendo an, und wieder hörte Emma nur Wortfetzen. Ich will nicht operiert werden, dachte sie. Das tut weh! Ich werde euch verklagen.
    Â»â€¦ offenbar eine Verwechslung«, sagte die erste Stimme. »Hat wohl schon wieder jemand das falsche Etikett drangehängt«, sagte die zweite. »Machen wir sie einfach wieder zu und erzählen ihr, sie hätte …«
    Â»Holt sie zurück. Und macht die verdammte Musik aus. Was ist los? «
    Emma hörte ein Rauschen wie von einer Meeresbrandung. Das Rauschen übertönte die Musik und das Piepsen und das stetige Zischen. Eine Woge schien ihr Herz zu erfassen und mit sich zu tragen, hinaus aus ihrer Brust. Die Stimmen waren kaum noch zu vernehmen.
    Â»Was machen Sie denn?«
    Â»Ihr Herz schlägt nicht mehr!«
    Â»Sie hat aufgehört zu atmen!«
    Â»Defibrillieren! 200 Joule! Achtung! Weg!«
    Eine leuchtende Faust fuhr in Emmas Brust.
    Â»Noch mal! 200 Joule! Und weg!!«

    A ls Emma das nächste Mal erwachte, wusste sie, dass sie nicht im Himmel war – sie hatte Schmerzen. Demnach war sie auch nicht tot. Sie lag allein in einem dunklen Zimmer. Nur eine kleine Lampe über dem Kopfende ihres Betts spendete anämische Helligkeit. Sie hörte das leise Zischen, Ticken und Piepsen elektrischer Geräte, als wären zur Sicherheit alle ihre Vitalfunktionen ausgelagert worden.
    Sie wollte sich aufrichten, aber sofort wurden die glühenden Stiche in der Leistengegend schlimmer. Schmerzen ließen sich offenbar noch nicht auf Apparate übertragen. Tränen liefen ihr aus den Augen, sodass sie ihre Umgebung nur verschwommen wahrnahm. Sie spürte, dass sie sich gleich übergeben musste, und suchte nach einem Topf oder einer Schale. Als sie keinen entdeckte, tastete sie nach dem Klingelknopf rechts über ihrem Kopf und drückte ihn.
    Eine Nachtschwester erschien, so schnell, als wäre sie nur für Emma zuständig. Sie befreite ihre Patientin von ein paar Schläuchen, hielt ihren Kopf mit der einen Hand und mit der anderen die Schale, in die Emma sich erbrach. Danach wischte sie Emma den Mund ab und tupfte ihr den Schweiß von der Stirn. »Du gut«, sagte sie leise, »du gut, ja?« Emma fand, dass nichts gut war, aber nun schmerzte auch ihre Kehle, sodass sie nur ein Krächzen hervorbrachte. »Du schlafen«, sagte die Schwester. »Du jetzt wieder schlafen. Schlafen beste Medizin, ja?«
    Emma schloss die Lider, nur kurz, nur eine Sekunde. Gleich darauf öffnete sie die Augen wieder und wunderte sich, dass es in der kurzen Zeit hell geworden war. Sie sah ihren Vater, der neben ihrem Bett saß, aber ehe sie etwas zu ihm sagen konnte, wurde es wieder dunkel. Beim nächsten Mal schien Sera auf der Bettkante zu sitzen und ihre Hand zu halten. Nachdem sich dieser Vorgang mehrmals wiederholt hatte – auch Monsignore Wenzel beugte sich, in matten Glanz gehüllt, über sie, um sie zu segnen –, stellte sie eines Nachmittags fest, dass sie in einem anderen Zimmer lag, in dem sie

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