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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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kleinen Hügel hinauf bis zum Herrenhaus. Dort begrüßen ihn alle sehr freundlich, die Diener nennen ihn »junger Herr«, wenn auch mit einem Lächeln, und wenn der Gutsherr nicht auf Reisen ist, kommt auch er meist herbei, um die Steinerin und ihren Schützling willkommen zu heißen. Herr Veit ist ein grauhaariger, schon älterer Mann von unscheinbarem Äußeren, mit schlaffen Wangen und kalten Augen. Wenn er aus der Bibliothek oder von der Terrasse zu ihnen herauskommt, bemüht er sich immer, den »lieben Rolfie« mit besonderer Wärme anzulächeln, aber das Lächeln zieht nur seine Mundwinkel ein wenig empor, während die blauen Augen unbeteiligt bleiben.
    Flor sah das väterliche Lächeln vor sich, die Augen so kalt wie zwei Winterpfützen, und noch in der Erinnerung begann er wieder zu frösteln.
    Während Herr Veit ihn umarmt oder bei den Schultern fasst und mit väterlicher Derbheit rüttelt, lässt er selbst die Hand der Steinerin nicht los. Auch mit fünfzehn Jahren oder mehr geht er nur an ihrer Hand aus dem Gärtnerhaus, ganz selten, dass er sich mal allein aus der Tür traut, in die Orangerie hinüber oder gar in die wilden Weiten des Parks.
    Etwas an ihm, in ihm ist auf schreckliche Weise anders als bei den Menschen, zwischen denen er aufgewachsen ist. Das hat er immer schon gefühlt, aber eines Tages, mit zwölf oder dreizehn Jahren, ist es ihm plötzlich klar geworden, binnen eines einzigen Augenblicks – ich bin anders, anders, nie, nie werd ich sein wie sie. Er hätte nicht sagen können, wodurch und in welcher Weise anders, damals so wenig wie heute, aber seither weiß er, mit untrüglicher Gewissheit, dass er nicht wie der Steiner oder die Steinerin ist, nicht wie Herr Veit oder die Mägde und Diener, die ihn mit feinem Lächeln als »jungen Herrn« begrüßen.
    Sie war eine »ganz unglückliche Person«, versichert ihm die Steinerin stets bereitwillig, wenn er drum bittet, von seiner Mutter zu hören. »Hilda war schön wie wilde Rosen und gefährlich wie Vogelbeeren.« Wo sich die Liaison zwischen ihr und Herrn Veit abgespielt hat, ob sie zusammen hier auf dem Gut oder an einem anderen Ort gelebt haben, ob Hilda seine Mätresse gewesen ist oder vielleicht nur eine Buhlin für ein paar Sommertage, all das bleibt in den gefühlvollen Schilderungen der Steinerin ganz und gar unbestimmt. »Oj, wie innig sie sich liebten«, nuschelt sie über ihren Kräutern, »kann so was gut ausgehen, Bübli? Nein, es war eine heilige Liebe, zu gut für diese Welt.«
    Jedenfalls sei Hilda eines Tages bei einem Kutschunfall ums Leben gekommen, erklärt ihm die Steinerin unter Tränen, und da habe der mildherzige Gutsherr ihn, seinen Sohn, zu sich genommen und in ihre gärtnerische Obhut gegeben. »Da warst du ein Kräutli von vier Jahren«, versichert sie ihm, während er auf dem Schemel am Küchentisch hockt und Sand und Steine zu Kreisen oder Rechtecken ordnet, seine liebste Beschäftigung, so weit er zurückdenken kann, »und du selbst hast ja nur durch ein Wunder überlebt – ist schon besser so, dass du dich an den furchtbaren Unfall nicht erinnerst.«
    Nein, daran erinnert er sich tatsächlich nicht: weder an die Kutsche, in der er und Mutter Hilda übers Land reisten, noch an den Felshang, den sie hinunterstürzten, als der Kutscher bei Nacht und Sturm vom Weg abkam. Auch an das Spital, in dem die Ärzte um sein Leben rangen, fehlt ihm jede Erinnerung, an die wundersamen Essenzen, mit denen sie ihm Kopf und Bauch bestrichen, um seine Wunden zu heilen. Er war aus der Kutsche geschleudert und auf einer Felsnadel aufgespießt worden, jedenfalls laut der Steinerin; »der Fels hat deinen Nabel durchbohrt, Jungchen«, so die Alte, in ihre Schürze schnüffelnd,
    »die Ärzte haben das Loch mit ihrer Wunderpaste wieder geschlossen, und deshalb lebst du noch, hast aber keinen Nabel mehr. Besser, du lässt es keinen sehen – sonst sagen die Leute noch, dass der Teufel dein Vater wär!«
    Von alledem weiß er einzig durch die tränenreichen Schilderungen der Steinerin, er selbst erinnert sich nur an die schwarze Halle, den Drachenvogel, der über ihm in der Finsternis schwebt. Aber auch das ist ja kein Erinnern, es ist die Essenz des Entsetzens, aus Dunkelheit, Stille, ein paar winzigen Lauten destilliert – Fiepen wie von jungen Tieren, Rauschen wie von großen Flügeln.
    Alles andere kommt ihm dagegen unwirklich vor, gekünstelt, erlogen, auch wenn die Steinerin es ihm noch so lebhaft ausmalt und sogar wenn er

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