Der Alchimist von Krumau
Klagelaute Flors gingen gleichermaßen im donnernden Applaus unter, als der Vorhang zum ersten Mal fiel.
Lakaien schwärmten nun überall im Publikum aus und zündeten Kerzen an. Benommen beugte sich Markéta über die Brüstung ihrer Loge und sah einem Diener hinterher, der über seinem Kopf ein Silbertablett voll brennender Kerzen balancierte.
Sie wandte sich nach links, da traf sie ein Blick, der ihren Atem stocken, ihr Herz mit einem Mal wie rasend pochen ließ.
»Julius!« Sie hauchte seinen Namen und fuhr zurück in ihre Loge wie in ein Schneckenhaus. Wie hatte sie auch nur einen Augenblick vergessen können, dass er nebenan in der Fürstenloge saß, bloß durch eine dünne, mit Seide bespannte Wand von ihr getrennt? Behutsam beugte sie sich noch einmal vor, bereit, ihren Kopf mit den hoch aufgetürmten Haaren – einem Kunstwerk, an dem Bronja und Lisetta zwei Stunden lang gewerkelt hatten – sofort wieder einzuziehen. Der Platz zur Rechten des jungen Grafen war leer; an seiner linken Seite saß der Maître im weißen Wams, wie immer ganz vorn auf der Sesselkante kauernd, als könnte jederzeit ein Feuer ausbrechen, dem er persönlich sich entgegenwerfen müsste.
Eine Glocke ertönte. Markéta bewegte ihre schweißnasse Hand zwischen Flors kühlen Fingern und lehnte sich zurück, während der Vorhang abermals emporstieg und das Licht im Publikum erlosch.
Das zweite Bild zeigte einen Thronsaal. Zwischen Wänden aus gemaltem Gold und Spiegelglas saß ein junger Herrscher auf dem Prunksessel, im scharlachroten Habit, die silberne Krone schief auf seinem Haupt. Die Zuschauer hießen ihn mit leisem Gelächter willkommen; erst als Don Julius in seiner Loge lauthals auflachte, begannen auch unten im Saal Hunderte Hände ungehemmt zu applaudieren.
Von links sprang wieder der Magier mit dem schwarzen Umhang in die Szene; an der Schlinge geführt, stolperte die unselige Kreatur hinter ihm her. Leise erklang eine Flötenweise, zu diesen kummervollen Tönen begann sich der Nabellose hin und her zu wiegen und taumelnd im Kreis zu drehen. Währenddessen zog der Schwarzkünstler ihn weiter am Seil herum, und bei jeder Bewegung seiner Hände schwang der schwarze Stab in seinem Umhang empor.
Gelächter und Zurufe des Publikums klangen nun ein wenig beklommen. Auch Flor an Markétas Seite seufzte wieder und wieder beim Anblick seines Doppelgängers, der sich mit todtrauriger Miene auf der Bühne drehte. Dann aber brandete abermals Applaus auf, begleitet von heiterem Lachen und spöttischen Rufen: Von der rechten Seite tänzelte eine weitere Gestalt auf die Bühne, ein schmales Männlein, so makellos weiß gewandet wie sein bärtiger Widersacher in einförmiges Schwarz.
Auch Markéta musste lachen, als sie das Mädchen mit der mehlfarbenen Perücke erblickte, das über weißen Strumpfhosen ein Wams aus weißem Leder trug. In der rechten Hand wirbelte sie ein weißes Stäbchen, in der linken hielt auch sie ein Seil, dessen anderes Ende den Blicken noch verborgen war. Aber warum nur sah Lenka in der Rolle des eleganten Maître mindestens so traurig drein wie der Bühnen-Flor, der, von Fabrio hin und her gezogen, allen Grund hatte, mit seinem Schicksal zu hadern?
Geschmeidig bewegte sich der weiße Tänzer um den Thron herum, vor dem plumpen Schwarzbart zurückweichend, wenn der drohend auf ihn zuhinkte, dann wieder an Boden gewinnend, wenn der Nabellose in selbstvergessenem Taumel seinen Meister seitwärts mit sich riss. Der junge Herrscher auf der Bühne schaute gebannt von einer Seite zur anderen, vom Schwarzbart, der den Nabellosen führte, zum weißen Elegant, der nun gleichfalls das Seil in seiner linken Hand straffte. Und von dieser Schnur herbeigezwungen, stolperte eine junge Frau auf die Bühne, bei deren Anblick der ganze Saal in wieherndes, brüllendes, prustendes Gelächter ausbrach.
Die rossbraunen Haare fielen ihr wirr ins Gesicht und bis auf die Schultern hinab, ihre Füße schauten nackt und schlammbefleckt unter dem groben Leinenkleid hervor. Der elegante weiße Tänzer ruckte abermals am Seil, das um eine Hand und einen Fuß der torkelnden Maid geschlungen war. Da verlor sie die Balance und fiel vor dem Thron auf den Rücken, alle viere von sich streckend.
Markétas Gesicht wurde flammend heiß. So tief wie möglich drückte sie sich in ihren Sessel und hoffte, dass die Dunkelheit der Loge sie verschlingen möge. Zugleich aber starrte sie gebannt auf die Bühne, auf der sich ihre eigne Doppelgängerin
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