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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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ihr herübertrieb, richtete sich Markéta zum Sitzen auf und drehte sich seitlich weg. Aus den Augenwinkeln sah sie eben noch, wie die ersten Jäger ihre Beutestücke vom Pferd gleiten ließen und auf einem Felsstück am Rand der Lichtung aufzustapeln begannen, dann senkte sie die Lider und kehrte in Gedanken zu Mutter Bianca zurück.
    Alles sprach dafür, dass Bianca damals, im Sommer 1587 oder wenig später, die Geliebte eines wohlgeborenen Herrn aus Wilhelms Gefolge geworden war. Höchstwahrscheinlich hatte sogar ein Freier von höherem Adel um ihre Gunst gerungen, denn anders ließ sich kaum erklären, was Bianca wenig später widerfuhr: Anfang 1588 vermählt mit dem Kleinhäusler Sigmund Pichler, wobei das Kirchbuch von Krumau als Mädchennamen der Braut nicht etwa »von Ludanice« anführte, sondern den Herkunftsnamen ihrer Mutter Margareta, überdies gekürzt um das Adelsprädikat: »Bianca Voscaja, geboren am 6. Junius 1566 A.D. in Prescov, Fürstentum Ungarn-Siebenbürgen«.
    Aber Geburtstag und -ort stimmten überein, die Identität der beiden Biancas stand also außer Zweifel – umso mehr, als das Gemälde aus der Rosenberger Privatgalerie niemand anderen als Bianca Pichlerová zeigte, vielmehr Bianca da Ludanice, die sich im Januar 1588 so überraschend in die Gemahlin des Baders Pichler verwandelt hatte.
    Derlei »Transformationen«, wie d’Alembert es ausdrückte, erfolgten »nicht ganz selten, stets diskret und fast immer aufgrund der nämlichen Konstellation: wenn die Buhlin gesegneten Leibes ist und der Standesunterschied eine Vermählung mit dem Kindserzeuger verbietet, dieser jedoch Ehrenmann genug ist, die Dame angemessen abzufinden – mit Ehegemahl und Mitgift, in bürgerlichem oder kleinadligem Rahmen, je nachdem«.
    Markéta hatte eine Weile gebraucht, um die gedrechselten Worte des Maître zu enträtseln, aber mittlerweile war sie sicher, dass sie, auf ihren Fall bezogen, nur einen Schluss erlaubten:
    Mutter Bianca, damals immerhin eine Edelfrau klangvollen Namens, musste eine Liebschaft mit einem Krumauer Herrn von hohem oder sogar höchstem Adel eingegangen sein. Zum hundertsten Mal wendete Markéta den Gedanken hin und her und kam doch zum selben Ende wie immer: Wäre nämlich Biancas Buhle von ähnlichem Blutsrang wie sie gewesen, ein Freiherr oder selbst ein Baron, so hätte er schwerlich eine andere Wahl und noch weniger einen guten Grund gehabt, die Vermählung mit der Dame zu verweigern, immerhin einer angeheirateten Verwandten des Grafen von Rosenberg. Hatte Mutter Bianca sich dagegen mit einem Herrn von weit höherem Stand eingelassen, so durfte sie keinesfalls hoffen, dass der wohlgeborene Galan sich um der minderblütigen Buhlin willen ins Verderben stürzte, »und speziell in diesen Fällen«, so wiederum der Maître, »kommt das Instrument der Transformation sehr zupass.«
    Alles in allem, dachte Markéta, hieß das doch wohl, dass ihr wahrer Vater eine fürstliche Persönlichkeit sein musste, die im Winter 1587 auf Burg Krumau lebte, möglicherweise sogar Graf Wilhelm höchstselbst. Sie hatte es kaum gedacht, als ein heftiger Schwindel sie befiel; rasch öffnete sie die Augen und sah zu den Jägern hinüber.
    Immer noch kamen weitere Männer in tannengrüner Kluft aus dem Wald hervor, zu Fuß oder zu Pferde, sie alle beladen mit blutigen Beutestücken, die sie auf den Kadaverhaufen warfen. Auch etliche Künstler in papageienbunten Gewändern waren zur Lichtung herausgekommen, Markéta erkannte die zitronengelben Schuhe Giacomo da Biondos, der eben seine Staffelei aufstellte. Der Kadaverstapel mochte mittlerweile anderthalb Meter in der Höhe messen, Dutzende starrer Augen glotzten aus dem Fleischberg zu ihr herüber, und Markéta sah den äugenden Beutehaufen einen Moment lang benommen an, ehe es ihr gelang, den Blick wieder abzuwenden.
    Gestern Nacht, dachte sie, bei seinem überraschenden Besuch in ihrem Bett, hatte Julius angedeutet, dass es für Biancas Absturz von der Burg ins Baderhaus möglicherweise noch eine andere, weit weniger ehrenhafte Erklärung gab. Natürlich hatte auch sie selbst schon daran gedacht, aber die Möglichkeit, dass Bianca der Hochstapelei überführt und deshalb nach kurzer Zeit aus der Burg gewiesen worden war, schien ihr keine ernstere Überlegung wert. Die Dokumente, die ihre Herkunft bezeugten, waren untadelig gewesen, das hatte d’Alembert ihr mehrfach versichert, und daran würde sie sich halten.
    Ich muss endlich mit ihm sprechen, dachte

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