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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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es mich, wenn diese Könige des Waldes wiederauferstehen.«
    Markéta sah von dem weißen Hirsch zu Don Julius, der mit Verschwörermiene fortfuhr: »Wartet nur ab – bald wird diese ganze Hirschfamilie wieder gesund und munter vor Euch stehen!«
    »Ihr seid ja …!« Sie brach ab und biss sich erschrocken auf die Unterlippe.
    »Wahnsinnig, meinst du?« Unvermittelt beugte er sich vor und küsste sie auf den Mund; seine Zunge bohrte sich zwischen ihre Lippen, sein Leib drängte sich gegen ihren Körper, mit so jäher, überrumpelnder Härte, dass sie ihn wie willenlos gewähren ließ.
    »Glaubst du, ich wüsst nicht, was sie über mich munkeln? In der Prager Hofburg oder droben in Krumau – über mich so gut wie über die väterliche Majestät?« Schwer atmend ließ er ab von ihr, seine Unterlippe zuckte. »Don Julius lacht oder weint? Er ist ja auch verrückt! Don Julius flüstert oder singt, liebt oder hasst, schweigt oder schreit? Kein Wunder, alles überhaupt kein Wunder, schließlich ist er mondsüchtig, dem Satan verfallen – das weiß doch in ganz Böhmen jedes Kind! Wahnsinnig, verrückt, dieser Kaiserbastard – auch wenn er nur tote Tiere mit Lumpen und Stroh ausstopft, bis sie wieder wie lebendig aussehen!«
    Obwohl er mit gedämpfter Stimme und atemlosem Keuchen sprach, kam es Markéta mit einem Mal vor, als ob er schrie, eine uralte Bitterkeit aus sich herausschrie, und da flammte eine wilde Zärtlichkeit in ihr empor. »Ich bin dem Wahnsinn verfallen«, flüsterte sie, zog seinen Kopf zu sich herunter und wiederholte stammelnd, ihre Lippen dicht an seinem blutbespritzten Ohr: »Dem Wahnsinn … der Liebe, Julius, zu dir!«
    Da gellte neben ihr ein Schrei auf, sie ließ seinen Nacken fahren und sah sich erschrocken um. Die Augen weit aufgerissen, stand Lenka vor dem Beutehaufen, den die Knechte zur Hälfte abgetragen hatten. Mit zitternder Hand deutete sie auf die schmale Gestalt, die inmitten der Tierkörper zum Vorschein gekommen war.
    Seine Augen waren geschlossen, der Arm angewinkelt, die Schulter ein wenig emporgezogen, eine Wange ins Fleisch gebettet wie zu sanftem Schlaf. Aber es war kein Schlaf, sein Gesicht so blutig, als ob sie auch ihn gehäutet hätten, alles, alles, auch Stirn und Schläfe unter Locken so funkelnd wie Goldgefädel.
    Lenka schrie noch immer, und da begann auch Markéta zu schreien, sie riss sich von Julius los und warf sich, in einer Lache aus Blut und Leichenwasser, vor den Kadavern auf die Knie: »Flor! Um Himmels Willen, Flor! Lieber Gott, bitte mach, dass er lebt!«

  40
     
     
    Er war wieder dort in der schwarzen Halle, wie damals starr vor Angst. Lisetta, dachte er, sie hat am Boden gekauert wie – aber da sah er die Zofe schon nicht mehr, hatte sie schon vergessen, verloren, ihren Zimtduft, das pfirsichfarbene Zimmer, alles verschwamm, verschwand binnen eines Lidschlags, bis ihn nur noch Nacht umgab.
    Irgendwo tropft Wasser, leise nachhallend, pa-lapp. Dazu sein eigener Atem, keuchend, obwohl er reglos dasteht, in die Tintenschwärze lauschend: nichts; sich dreht und wendet, angestrengt horchend: nichts, wiederum nichts!
    Von allen Seiten stürzt die Stille auf ihn ein. Er will sich räuspern und bringt keinen Laut heraus, will einen Schritt machen, ganz gleich wohin, doch die Beine verweigern ihm den Dienst. Da plötzlich hört er’s, und wünscht sich gleich die Stille zurück, alles lieber als das: ein Winseln, kaum wahrzunehmen, ein fistelndes Fiepen wie von sehr jungen, grässlich verschreckten Tieren.
    Welpen vielleicht, oder Kätzchen? Wie fern ihre Laute sind, auch das Tropfen des Wassers. Wie riesig dieser Raum sein muss: eine Halle, ein Gewölbe, gefüllt mit nichts als Finsternis. Und darin schwimmend, in einem Meer aus Schwärze, Stille und jenem herzzerreißend zarten Fiepen: ich, Flor.
    Wie komm ich hierher? Er lauscht in sich hinein: nichts, nichts! Nur ein Grauen, das in allen Winkeln lauert: Fort, nur fort! Frag lieber nicht! So lauf schon, Flor!
    Diesmal schafft er’s, einen Fuß vom Boden zu heben, er tastet umher, zuckt zurück: wie kalt der Boden ist! Jetzt erst beginnt er zu frösteln. Fährt mit den Händen über seine Brust, den Leib hinab: Er ist nackt, am ganzen Körper nackt, ein klapperdürres Kind, und aus dem Steinboden kriecht der Frost empor.
    Flor streckt die Arme nach vorn, um sich im Finstern nicht zu stoßen, und macht einen Schritt, dann noch einen. Wieder hört er das Fiepen, so leise wie im Traum, aber es ist kein Traum,

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