Der Alchimist von Krumau
lachend, bestieg die Kutsche und ließ sich in die Polster fallen, ohne seinen Arm anzurühren. »Hast du vergessen, dass ihr mich früher Eichkätzchen genannt habt – weil ich auf Mauern und Bäume schneller hinauf bin als die geschwindesten Buben?«
»Vor Euch steht ein Soldat der gräflichen Salvaguardia, Madame.«
Mikesch kniff die Lippen zusammen. »Mir wurde befohlen, der Jagdgesellschaft in gewissem Abstand zu folgen – zu Eurer Sicherheit.« Er schwang sich auf den Kutschbock und ergriff die Zügel des Rappen, der mit einem Schnauben den Kopf emporwarf. »Die Person, die Ihr eben erwähnt habt, existiert nicht mehr.«
Diesen letzten Satz hatte Mikesch gesagt, ohne sich noch einmal zu ihr umzuwenden. Während sie darüber nachdachte, ob er sie oder sich selbst gemeint hatte, rollte ihre Kalesche bereits aus dem Burgtor, der Jagdgesellschaft folgend, die in gestrecktem Galopp auf den Waldrand zuhielt.
Anfangs sah sich Markéta noch aufmerksam um, während sie im Trab dem schmalen Weg hoch über der Moldau folgten, durch Gärten und Felder dem Wald entgegen, der wie eine schwarzgrüne Riesenwand vor ihnen aufragte. Aber bald wurde sie wieder schläfrig – kein Wunder, dachte sie, nach den Aufregungen der letzten Nacht. Sie warf sich die Decke über, die neben ihr auf der Bank bereitlag, aß langsam einen der rotbackigen Äpfel, die sich zusammen mit Würsten und Weißbrot, Fasan und Tokaier in der Provianttasche fanden, und sah an Slatava vorbei in die nebelverhangene Ebene, bis sich vor ihren Augen wirkliche Sinnesbilder mit Gedanken und Träumen vermischten.
Die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren ein wüstes Zeitalter, jedenfalls nach den Worten d’Alemberts, der ihr die Verhältnisse anschaulich geschildert hatte. Und ganz besonders galt dies wohl für das Fürstentum Ungarn-Siebenbürgen, in dem Markétas Mutter Bianca aufwuchs, im Gutsflecken Prescov nahe Hermannstadt, als einzige Tochter der Eheleute da Ludanice. Seit dem Fall der ungarischen Hauptstadt Ofen stand auch Siebenbürgen unter osmanischer Oberhoheit, immer wieder kam es zu Aufständen, die der Sultan von Konstantinopel blutig niederschlagen ließ. Katholiken bekämpften überdies Reformierte, Protestanten stritten mit Orthodoxen, und alle zusammen hassten die Mohammedaner.
1562, vier Jahre bevor Bianca zur Welt kam, erhoben sich die Sklezer gegen die osmanischen Usurpatoren und wurden von den Krummsäbeln in langwierigem Kampf niedergemacht. Die Pest brach aus, erneute, noch verzweifeltere Aufstände folgten; Dörfer, Städte, ganze Landstriche wurden verwüstet, so auch der Sprengel Prescov, der im Jahr 1570 lichterloh brannte.
Während dieser Wirren kamen anscheinend Anselm wie auch Margareta da Ludanice ums Leben. Jedenfalls fand man in den Trümmern des Gutshauses zwei verkohlte Leichen, die für ihre sterblichen Überreste angesehen und am 11. Oktober 1570 auf dem verheerten Kirchhof zu Prescov notdürftig bestattet wurden. Die kleine Bianca aber wuchs fortan in der Obhut ihrer Großtante Ludovica auf, in einem Häuschen am Rand des Sprengels Prescov.
»Nicht, dass es heute in Siebenbürgen sehr viel friedlicher zuginge«, hatte d’Alembert nach kurzem Sinnen noch hinzugefügt. »Von dem Tohuwabohu, das Stephan Bocskay dort angerichtet hat, wird sich das Land nicht so rasch erholen, auch wenn der streit-und ruhmsüchtige Fürst so einsichtig war, nach nur dreijähriger Tyrannei das Zeitliche zu segnen.«
Seit dem Tod ihrer Eltern und der Verwüstung des Familienguts war Bianca da Ludanice eine bettelarme Waise, angewiesen auf die Gnade der alten Tante, die ihrerseits in dürftigen Verhältnissen lebte.
Die einzige Trumpfkarte, die dem Mädchen verblieben war,
ihr siebenbürgischer Adelsrang, war lange Zeit nicht das Pergament wert, das die Echtheit ihrer Ansprüche verbürgen sollte, bis Peter Vok von Rosenberg, der jüngere Bruder Wilhelms, im Sommer 1580 Katharina da Ludanice ehelichte, eine Kusine Biancas aus der mährischen Hauptlinie der Ludanices.
Damals zählte Bianca vierzehn Jahre, ein Jahr mehr als die so glanzvoll aufgestiegene Kusine. Nicht einmal d’Alembert hatte herausbringen können, wie lange es von Katharinas Hochzeit an gedauert hatte, bis die frohe Botschaft nach Prescov gedrungen war, zur Großtante Ludovica, die unterdessen nahezu taub war, und zu ihrem Mündel Bianca, das nach den Aufzeichnungen des Dorfpfarrers, Hochwürden Dragovic, »anstellig, gewissenhaft und von Ehrsucht
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