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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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im Gegenteil: Ihm scheint, als wär er gerade erst erwacht aus langem, tiefem Schlaf. Langsam geht er weiter, über den schroffen Boden, und betastet die Luft vor sich, aber da ist nichts, nur hallend kalte Nacht.
    Welpen, denkt er wieder, mit wolligem Fell. Er friert jetzt so sehr, dass seine Zähne aufeinander klappern, seine Haut fühlt sich rau an wie der Stein unter seinen Sohlen, jede Berührung schmerzt. Er tappt weiter und weiter, hört das ferne Tropfen, pa-lapp, und das vielstimmige Fiepen, das eine Höhle, warm und dämmrig, vor ihm heraufbeschwört. Dort will er hineinkriechen, zu den Welpen, sich an ihnen wärmen.
    Doch da hört er ein Rauschen, mächtig und gleichmäßig wie ferner Wind oder wie anbrandende Wellen. Es kommt näher heran, wird zu einem Brausen hoch über ihm. Flor hebt den Kopf, und da sieht er ihn, dunkler als alle Dunkelheit, ein plumper Leib zwischen spitz gezackten Schwingen, ein riesenhafter Schatten, der scheinbar auf ihn herabstürzt: der schwarze Drache der Nacht …
    Und da wirft sich Flor zu Boden, presst sich mit Brust und Bauch auf die eiskalten Steine, zieht die Beine an den Leib, schlingt die Arme um seinen Kopf, wartet auf den Angriff, der kommen muss, im allernächsten Moment. Wieder hört er das Wimmern und merkt dann erst, dass er selbst wie ein Welpe fiept. Und hört auf einmal ein Lachen, spürt die Hand, die ihn am Arm packt und hochreißt, blinzelt in die Lampe, deren Schein ihm gleißend in die Augen beißt: »Na, Zitterpippchen, wollt er vor säjnem Mäjster fliehen?«

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    Er war noch am Leben, glücklicherweise, und es war nicht Flor, natürlich nicht – der Nabellose befand sich in Burg Krumau, in der Obhut der Zofe Lisetta.
    Dennoch fühlte sich Markéta immer noch weich in den Knien, als sie neben dem Verletzten im Gras kauerte und die tiefe Pfeilwunde in seinem Oberschenkel mit einem Verband aus gebleichtem Leintuch versorgte. Offenbar hatte er eine Menge Blut verloren. Erst nachdem sie ihm Riechsalz unter die Nase gerieben und mehrfach die Wangen beklopft hatte, öffneten sich seine Lider, flatternd wie Mottenflügel, und er sah mit einem Ausdruck dumpfen Entsetzens zu ihr auf.
    »Bleib liegen, Nicodemus, ganz ruhig«, sagte sie, in beschwichtigendem Tonfall, wie sie hoffte, dabei war sie selbst von quälender Unruhe erfüllt. »Du hattest einen Unfall bei der Jagd – einer der Armbrustschützen muss versehentlich auf dich geschossen haben.«
    Der »falsche Homunkel« sah sie nur weiter verständnislos an, mit bebenden Lippen, und seine Augen glitzerten, als ob er gleich in Tränen ausbrechen würde.
    »Keine Sorge«, fuhr sie rasch fort, »die Verletzung ist nicht arg, du wirst bald wieder laufen können.«
    Der Mund des Flößersohns öffnete sich und ging wieder zu, er ballte eine Hand zur Faust und stammelte endlich: »Wie konnte das … tut so weh …?«
    Sie überlegte, wie sich das Geschehene erklären ließe, doch dann hob sie nur die Schultern und lächelte ihm tröstend zu. Was hätte sie ihm auch sagen können? D’Alembert hatte Jäger und Treiber zusammengerufen und alle vierzig oder sechzig Männer streng befragt, doch das Ergebnis war dürftig: Dass ein Treiber angeschossen wurde, wenn er sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte, komme immer wieder einmal vor, bedauerlicherweise; meist liege die Schuld beim Treiber selbst, der ungeschickt im Unterholz Deckung suche, anstatt aus der Schussbahn zu fliehen. Wie es allerdings geschehen konnte, dass Nicodemus, einmal angeschossen, auch noch im Schleppnetz voller Beutestücke landete, zwischen aufgebrochenen Sauen und gehäuteten Rehen, das erklärten alle kopfschüttelnd für »unbegreiflich«, »rätselhaft«, »schändlichen Unfug«.
    »Auch wenn er reglos dalag, blutüberströmt und mit Erde verschmiert«, erklärte Skraliçek, die Hände vor seinem Trommelbauch gefaltet, »hätten die Beutesammler erkennen müssen, dass es sich um einen menschlichen Körper handelt.« Die Stimme Skraliçeks, Oberststallmeister und Hauptmann der Jagdgesellschaft, klang reichlich verwaschen, und das war wohl auch die wahre Erklärung für den Zwischenfall, der Nico leicht hätte das Leben kosten können: Seit sie im Morgengrauen aufgebrochen waren, hatten Jäger und Treiber tapfer dem Schnaps zugesprochen, Wacholder-und Holundergeist aus blechernen oder versilberten Taschenflaschen, die sie alle im Rucksack oder am Gürtel mit sich führten. Sowohl der Jäger, der auf Nicodemus angelegt hatte,

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