Der Amokläufer
nicht. Dann nahm ich ihre Lippen. Sie waren trocken und heiß, und als ich sie küßte, taten sie sich plötzlich auf, um von den meinen zu trinken, aber nicht dürstend und leidenschaftlich, sondern mit dem stillen, schlaffen, begehrlichen Saugen eines Kindes. Eine Verschmachtende, so fühlte ich sie, und so wie ihre Lippen sog sich ihr schlanker, durch das dünne Gewand warm wogender Körper mir ganz so an, wie früher draußen die Nacht, ohne Kraft, aber voll einer stillen, trunkenen Gier. Und da, wie ich sie hielt – meine Sinne funkelten noch grell durcheinander – spürte ich die warme feuchte Erde an mir, wie sie heute dalag, dürstend nach dem Schauer der Entspannung, die heiße, machtlose, glühende Landschaft. Ich küßte und küßte sie und empfand, als genieße ich die große, schwüle, harrende Welt in ihr, als wäre diese Wärme, die von ihren Wangen glühte, der Brodem der Felder, als atmete von ihren weichen, warmen Brüsten das schauernde Land.
Doch da, wie meine wandernden Lippen zu ihren Lidern emporwollten, zu den Augen, deren schwarze Flammen ich so schauernd gefühlt, da ich mich hob, ihr Gesicht zu schauen und im Anschauen stärker zu genießen, sahich überrascht, daß ihre Lider fest geschlossen waren. Eine griechische Maske aus Stein, augenlos, ohnmächtig, lag sie da, Ophelia nun, die tote, auf den Wassern treibend, bleich das fühllose Antlitz gehoben aus der dunklen Flut. Ich erschrak. Zum erstenmal fühlte ich Wirklichkeit in dem phantastischen Begeben. Schaudernd überfiel mich die Erkenntnis, daß ich da eine Unbewußte nahm, eine Trunkene, eine Kranke, eine Schlafwandlerin ihrer Sinne in den Armen hielt, die mir nur die Schwüle der Nacht hergetrieben wie ein roter, gefährlicher Mond, ein Wesen, das nicht wußte, was es tat, das mich vielleicht nicht wollte. Ich erschrak, und sie ward mir im Arme schwer. Leise wollte ich die Willenlose hingleiten lassen auf den Sessel, auf das Bett, um nicht aus einem Taumel Lust zu stehlen, nicht etwas zu nehmen, was sie vielleicht selbst nicht wollte, sondern nur jener Dämon in ihr, der Herr ihres Blutes war. Aber kaum fühlte sie, daß ich nachließ, begann sie leise zu stöhnen: »Laß mich nicht! Laß mich nicht!« flehte sie, und heißer sogen ihre Lippen, drängte ihr Körper sich an. Schmerzhaft war ihr Gesicht mit den verschlossenen Augen gespannt, und schauernd spürte ich, daß sie wach werden wollte und nicht konnte, daß ihre trunkenen Sinne aus dem Gefängnis dieser Umnachtung schrieen und wissend werden wollten. Aber gerade dies, daß unter dieser bleiernen Maske von Schlaf etwas rang, das aus seiner Bezauberung wollte, war gefährliche Lockung für mich, sie zu erwecken. Meine Nerven brannten vor Ungeduld, sie wach, sie sprechend, sie als wirkliches Wesen zu sehen, nicht bloßals Traumwandlerin, und um jeden Preis wollte ich aus ihrem dumpf genießenden Körper diese Wachheit zwingen. Ich riß sie an mich, ich schüttelte sie, ich klemmte die Zähne in ihre Lippen und meine Finger in ihre Arme, damit sie endlich die Augen aufschlüge und nun besonnen täte, was hier nur dumpf ein Trieb in ihr genoß. Aber sie bog sich nur und stöhnte unter der schmerzhaften Umklammerung. »Mehr! Mehr!« stammelte sie mit einer Inbrunst, mit einer sinnlosen Inbrunst, die mich erregte und selbst sinnlos machte. Ich spürte, daß das Wache bereits nahe in ihr war, daß es aufbrechen wollte unter den geschlossenen Lidern, denn sie zuckten schon unruhig. Näher faßte ich sie, tiefer grub ich mich in sie ein, und plötzlich fühlte ich, wie eine Träne die Wange hinabrollte, die ich salzig trank. Furchtbar wogte es, je mehr ich sie preßte, in ihrer Brust, sie stöhnte, ihre Glieder krampften sich, als wollten sie etwas Ungeheures sprengen, einen Reif, der sie mit Schlaf umschloß, und plötzlich – wie ein Blitz war es durch die gewitternde Welt – brach es in ihr entzwei. Mit einemmal ward sie wieder schweres, lastendes Gewicht in meinen Armen, ihre Lippen ließen mich, die Hände sanken, und wie ich sie zurücklehnte auf das Bett, blieb sie liegen gleich einer Toten. Ich erschrak. Unwillkürlich fühlte ich sie an und tastete ihre Arme und ihre Wangen. Sie waren ganz kalt, erfroren, steinern. Nur an den Schläfen oben tickte leise in zitternden Schlägen das Blut. Marmor, eine Statue, lag sie da, feucht die Wangen von Tränen, den Atem leise spielend um die gespannten Nüstern. Manchmalüberrann sie noch leise ein Zucken, eine verebbende Welle
Weitere Kostenlose Bücher