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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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...«
    Er zögerte. Unwillkürlich war ich stehen geblieben und sah ihn an. Er duckte den Kopf. Dann flüsterte er heiser:
    »Es stand darauf ... ›Laß mich in Frieden. Du bist mir widerlich –‹«
    Wir waren beim Hafen angelangt, und plötzlich rauschte in das Schweigen der grollende Atem der nahen Brandung. Mit blinkenden Augen, wie große schwarze Tiere lagen die Schiffe da, nah und ferne, und von irgendwo kam Gesang. Nichts war deutlich und doch vieles zu fühlen, ein ungeheurer Schlaf und der schwere Traum einer starken Stadt. Neben mir spürte ich den Schatten dieses Menschen, er zuckte gespenstisch vor meinen Füßen, floß bald auseinander, bald kroch er zusammen im wandelnden Licht der trüben Laternen. Ich vermochte nichts zu sagen, nicht Trost und hatte keine Frage, spürte aber sein Schweigen an mir kleben, lastend und dumpf. Da faßte er mich plötzlich zitternd am Arm.
    »Aber ich gehe nicht fort von hier ohne sie ... Nach Monaten habe ich sie wiedergefunden ... Sie martertmich, aber ich will nicht müde werden ... Ich beschwöre Sie, mein Herr, reden Sie mit ihr ... Ich muß sie haben, sagen Sie es ihr ... mich hört sie nicht ... Ich kann nicht mehr so leben ... Ich kann es nicht mehr sehen, wie Männer zu ihr gehen ... und draußen warten vor dem Haus, bis sie wieder herunterkommen ... lachend und trunken ... Die ganze Gasse kennt mich schon ... sie lachen, wenn sie mich warten sehen ... wahnsinnig werde ich davon ... und doch jeden Abend stehe ich wieder dort ... Mein Herr, ich beschwöre Sie ... sprechen Sie mit ihr ... ich kenne Sie ja nicht, aber tun Sie es um Gottes Barmherzigkeit ... sprechen Sie mit ihr ...«
    Unwillkürlich wollte ich meinen Arm befreien. Mir graute. Aber er, wie ers spürte, daß ich mich gegen sein Unglück wehrte, fiel plötzlich mitten auf der Straße in die Knie und faßte meine Füße.
    »Ich beschwöre Sie, mein Herr ... Sie müssen mit ihr sprechen ... Sie müssen ... sonst ... sonst geschieht etwas Furchtbares ... Ich habe mein ganzes Geld verbraucht, sie zu suchen, und ich lasse sie nicht hier ... nicht lebendig ... Ich habe mir ein Messer gekauft ... Ich habe ein Messer, mein Herr ... Ich lasse sie hier nicht mehr ... nicht lebendig ... ich ertrage es nicht ... Sprechen Sie mit ihr, mein Herr ...«
    Er wälzte sich wie rasend vor mir. In diesem Augenblick kamen zwei Polizisten die Straße her. Ich riß ihn mit Gewalt auf. Einen Augenblick starrte er mich entgeistert an. Dann sagte er mit ganz fremder, trockener Stimme:»Die Gasse dort biegen Sie ein. Dann sind Sie bei Ihrem Hotel.« Einmal noch starrte er mich an mit Augen, in denen die Pupillen zerschmolzen schienen in ein grauenhaft Weißes und Leeres. Dann verschwand er.
    Ich wickelte mich in meinen Mantel. Mich fröstelte. Nur Müdigkeit spürte ich, eine wirre Trunkenheit, gefühllos und schwarz, einen wandelnden, purpurnen Schlaf. Ich wollte etwas denken und all das besinnen, aber immer hob sich diese schwarze Welle von Müdigkeit aus mir und riß mich mit. Ich tastete ins Hotel, fiel hin ins Bett und schlief dumpf wie ein Tier.
    Am nächsten Morgen wußte ich nicht mehr, was davon Traum oder Erlebnis war, und irgend etwas in mir wehrte sich dagegen, es zu wissen. Spät war ich erwacht, fremd in fremder Stadt, und ging eine Kirche zu besehen, in der antike Mosaiken von großem Ruhme sein sollten. Aber meine Augen starrten sie leer an, immer deutlicher stieg die Begegnung der vergangenen Nacht auf, und ohne Widerstand triebs mich weg, ich suchte die Gasse und das Haus. Aber diese seltsamen Gassen leben nur des Nachts, am Tage tragen sie graue, kalte Masken, unter denen nur der Vertraute sie erkennt. Ich fand sie nicht, so sehr ich suchte. Müde und enttäuscht kam ich heim, verfolgt von den Bildern des Wahns oder der Erinnerung.
    Um neun Uhr abends ging mein Zug. Mit Bedauern ließ ich die Stadt. Ein Träger hob mein Gepäck und trug es vor mir her dem Bahnhof zu. Da plötzlich, an einer Kreuzung, riß michs herum; ich erkannte die Quergasse, die zu jenem Hause führte, hieß den Trägerwarten und ging – während er zuerst erstaunt und dann frech-vertraulich lachte – noch einen Blick zu tun in diese Gasse des Abenteuers.
    Dunkel lag sie da, dunkel wie damals, und im matten Mond sah ich die Türscheibe jenes Hauses glänzen. Noch einmal wollte ich näher treten, da raschelte eine Gestalt aus dem Dunkel. Schauernd erkannte ich ihn, der dort auf der Schwelle hockte und mir winkte, ich möge näher kommen.

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