Der Auftrag
Margan. »Willst du diese Stadt jetzt wirklich so betreten? So wie du bist?«
Jaryn verschränkte trotzig die Arme. »Das muss ich wohl, oder hast du angemessene Gewänder für mich in deiner Tasche? Kannst du mir den heiligen Zopf flechten?«
Caelian stöhnte leise. »Zum einen spreche ich nicht von deinem Äußeren, ich meine deine innere Verfassung. Und zum anderen kann ich deinen lächerlichen Zopf durchaus flechten.«
»Kannst du nicht. Nur ein Sonnenpriester darf Hand anlegen.«
»Und niemand darf dich berühren, wenn du jetzt durch die Tore von Margan schreitest, nicht wahr?«
»So ist es«, gab Jaryn spröde zurück.
»Dann viel Vergnügen! Aber dann sind wir getrennte Leute. Ich verschwinde in meinem Tempel und widme mich meinen Kräutern, und du kannst sehen, wie du allein klarkommst.«
»Du darfst dich nicht weigern. Suthranna hat dir befohlen, an meiner Seite zu bleiben!«
»Pah!« Caelian drehte seinen Kopf empört zur Seite. »Das ist unzumutbar. Ich sollte einem Menschen beistehen, keinem, der sich für einen wandelnden Halbgott hält.«
»Dann bleib doch hier sitzen. Glaubst du, ich brauche dich?«
Caelian sah Jaryn ernst an. »Ja, das glaube ich.«
Jaryn ging trotzig weiter. Caelian rief ihn nicht zurück. Jaryn blieb stehen. Langsam drehte er sich um. »Ich bin kein Gefangener mehr, ich bin Achayane. Das ist es, was ich immer bleiben werde. Es ist besser, ich gewöhne mich sehr schnell wieder daran.«
»Du bist es längst nicht mehr!«, rief Caelian ihm zu. »In deinem Herzen weißt du es.«
»Was bin ich dann?«, schrie Jaryn. »Sag es mir! Was bin ich?«
»Du bist das, was du in dir selbst entdeckt hast.«
»In mir?« Jaryn lachte bitter auf. »In mir ist eine furchtbare Leere. Ich weiß nicht, was es ist. Aber dass ich ein Sonnenpriester bin, das weiß ich. Ich kann nichts anderes sein.«
»Bist du nicht auf der Suche?«
»Ja. Aber ich suche diesen Prinzen in meiner Eigenschaft als Sonnenpriester, mag ich auch Bauernhosen und eine Lederkappe tragen, das ist nur äußerlich.«
»Dein heiliger Rock, deine heilige Kette, auch das sind nur Äußerlichkeiten. Hast du das nicht begriffen?«
»Das sind Attribute unseres heiligen Amtes. Selbst du trägst das schwarzsilberne Gewand des Mondpriesters.«
»Ja, aber es macht mich nicht zu etwas Besserem, es enthebt mich nicht meiner Menschlichkeit. Es ist genauso wenig ein heiliges Gewand wie deine zwölf Mondgewänder heilig sind. Sie bestehen aus Stoff, oder? Aus Seide, gewiss, aber auch Seide ist nicht heilig, nur teuer.«
Jaryn wurde blass. »Du verachtest mich?«, stammelte er.
»Nein, ich bin dein Freund und will dir helfen. Ich sehe, wie du auseinanderfällst. Du klammerst dich an deine Würde als Sonnenpriester, doch sie ist ein dürrer Stecken. Wenn du nicht inwendig heilig wirst, dann bist du gar nichts. Und inwendig kann man nur heilig werden, wenn man gut wird. Wenn man andere Menschen achtet, wertschätzt, wenn man ihre Sorgen sieht und sie ernst nimmt. Du warst auf dem Weg dazu.«
»Auf dem Weg?«
»Ja, und nun flüchtest du dich wieder in den Schutz deines Tempels, wo man dich auf Rosen bettet. Aber glaubst du, mit dieser Haltung den bösen Prinzen zu finden?«
»Was soll ich denn tun?« Jetzt klang Jaryn verzweifelt. »Ich muss mit Sagischvar reden, vielleicht auch mit Anamarna. Ich weiß einfach nicht weiter. Und die Sache mit Rastafan …«
»Rastafan ist ein Bruder Leichtfuß. Du liebst ihn, ich weiß es. Weil er anders ist als du. Vielleicht, weil er so ist, wie du gern sein möchtest? Stark, frei, ungehemmt, heißblütig.«
»Ja«, wisperte Jaryn. »Das ist möglich. Und so lustig wie du, so unbeschwert, das möchte ich auch sein. Ich habe das Gefühl, ich bin …«
»Still!« Caelian legte einen Finger auf die Lippen und stand auf. Er ging auf Jaryn zu. »Du kannst all das sein, wenn du es willst. Du kannst Sonnenpriester sein und gleichzeitig ein gewöhnlicher Mensch. Verstehst du? All das ist in dir.«
Jaryn starrte Caelian an. »Weshalb hat mich das niemand im Sonnentempel gelehrt? Weshalb muss ich das von einem Mondpriester hören?«
Caelian schüttelte leicht den Kopf. »Ich weiß es nicht. Diese Feindschaft zwischen Achay und Zarad ist so widersinnig. Wo hat das seinen Anfang genommen? Beide gingen so verschiedene Wege, dass sie sich nicht mehr begegnen können.« Er berührte Jaryn sanft an der Schulter. »Aber wir, Jaryn, wir beide sind uns begegnet. Wir könnten einen neuen Anfang wagen,
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