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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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überblättert. Doch als ich vor vier Wochen Franks Schlafsack im Kopierraum fand, ertappte ich mich bei demselben Gedanken. Mein Volontär erinnerte mich an mich selbst in meiner Ausbildungszeit bei der Polizei. Völlig besessen, krankhaft arbeitswütig und meinem Mentor gegenüber teilweise verdammt respektlos.
    »Und ich soll dir ausrichten, dass du auf der Konferenz besser ein paar Fakten präsentieren solltest, die nicht schon längst auf den Websites der Konkurrenz durch den Ticker laufen. Sonst, ich zitiere den Drachen wörtlich, >klatscht es gewaltig, aber keinen Applaus<.«
    Frank klang noch überdrehter als sonst, wie jemand, der gerade geschlafen hat, es sich aber um keinen Preis anmerken lassen will. Vermutlich lag es an den unzähligen Tassen Kaffee, die er gewiss auch heute schon in sich hineingeschüttet hatte. Die Redaktionskonferenz.
    Ich stöhnte leise. »Richte unserer Chefredaktöse bitte aus, ich schaffe es heute nicht.«
    Mal wieder...
    »O Mann«, sagte er und lachte. »Es ist deine Inquisition. Aber wehe, Thea lässt ihre Wut an mir aus und schickt mich zur Jahrespressekonferenz der Fliegenfischer oder so einen Mist.«
    »Das kann sie vergessen. Ich brauche dich heute.« Frank hustete nervös. Vermutlich spähte er im Moment über seinen Monitor hinweg zum Büro der Chefredaktion und hatte eine Miene aufgesetzt, als plane er gerade eine Verschwörung.
    »Was soll ich tun, Mr. President?«, flüsterte er. »Geh zu meinem Schreibtisch. In irgendeiner Schublade, ich glaube, es ist die unterste, liegen fünfzig Euro und eine Kreditkarte. Mit einem Gummi drum herum.«
    Eine Weile hörte ich nur atmosphärisches Rauschen und die typischen Geräusche einer Großraumredaktion. »Es sind nur zwanzig Euro, du Aufschneider. Und eine grüne Amex, nicht mal die goldene.«
    »Du musst mir beides sofort vorbeibringen. Ich hab meine Brieftasche verloren und kaum noch Sprit im Tank.« »Deine Brieftasche? So ein Mist.«
    Ich hörte einen Bürostuhl quietschen und sah vor meinem geistigen Auge, wie Frank sich an meinen Tisch gesetzt hatte und seine Standardtelefonhaltung einnahm: Das Handy zwischen Schlüsselbein und Kinn eingeklemmt, beide Ellbogen auf dem Tisch und die Hände hinter dem kurzgeschorenen Nacken verschränkt.
    »War wenigstens ein Kinderfoto im Portemonnaie?« Von Julian?
    »Was? Nein.« Ich war etwas verwirrt. »Das ist schlecht. Sehr schlecht.«
    Er räusperte sich, ein sicheres Anzeichen für einen Monolog. Da vor mir der Fahrer eines Kleinbusses unmotiviert die Spur wechselte, war ich abgelenkt und verpasste die Gelegenheit, Franks Vortrag im Keim zu ersticken. »Laut einer Studie der Universität Hertfordshire werden verlorene Geldbörsen eher zurückgegeben, wenn etwas Persönliches drin ist. Fotos von kleinen Kindern, der Ehefrau oder von kleinen Welpen zum Beispiel.« »Das ist ja wirklich sehr interessant«, sagte ich, doch er schien die Ironie in meiner Stimme nicht wahrzunehmen. »Die haben zweihundertvierzig Brieftaschen mit Absicht weggeworfen, um zu sehen, welche davon wieder zurück.«
    »Frank, es reicht, ja? Ich hab wirklich keine Zeit für diesen Quatsch.«
    Endlich war ich zu ihm durchgedrungen. »Schnapp dir das Geld und mach dich auf den Weg.«
    Ich gab ihm die Adresse durch und schloss mit den Worten: »Und beeil dich. Ich glaube, es geht wieder los.« Die Leitung klang auf einmal wie tot, und ich befürchtete schon, in ein Funkloch gefahren zu sein, als es am anderen Ende leise raschelte. »Der Augensammler?«, fragte Frank. »Ja.«
    »Scheiße«, flüsterte er. Er war noch zu jung und zu frisch dabei, um solche Informationen routiniert und abgebrüht zu kommentieren. Auch das war etwas, was ich an ihm schätzte. Er wusste, wann die Zeit für dumme Sprüche vorbei war.
    Ich hatte Frank vor einem Jahr aus einer Flut von Bewerbern herausgefischt und mich damit gegen Thea Bergdorf durchgesetzt, die lieber ein charmantes Püppchen von der Münchner Journalistenschule eingestellt hätte und nicht einen »Milchbubi«, wie sie mit Blick auf sein Foto bemerkt hatte. »Der sieht ja aus wie der Junge von der Zwiebackpackung, den nimmt doch keiner ernst, wenn er irgendwo auftaucht.«
    Doch Frank Lahmann hatte sich als Einziger nicht mit einem Lebenslauf, sondern mit einer Story beworben. Der Bericht über schwerste Vernachlässigungen von Demenzkranken in privaten Altersheimen hatte es auf Seite vier geschafft. Außerdem war Frank das absolute Recherche-Ass, auch wenn er das nutzlose

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