Der Azteke
Indianer – ist von einer (für seine Rasse) hohen Intelligenz, versteht es, sich auszudrücken, ist im Besitze aller Bildung, wie sie vormals in dieser Weltgegend geboten ward und ist früher beamteter Schreiber gewesen, so man dasjenige, worin diese Leute sich ausgedrückt haben, eine Schrift nennen will.
Neben seiner Tätigkeit als Schreiber hat dieser Mann in seinem Leben zahllose Berufe ausgeübt: er war Krieger, Hofmann, reisender Händler, ja sogar eine Art Emissär, den der verblichene vormalige Herrscher dieser Stadt zu den ersten castilischen Befreiern geschickt hat und welcher durch seine Obliegenheiten sich eine passable Kenntnis unserer Sprache angeeignet hat. Wiewohl sein Castilisch ihn selten im Stich läßt, legen wir selbstverständlich Wert auf größte Genauigkeit in allen Einzelheiten. Aus diesem Grunde haben wir einen Dolmetsch hinzugezogen, einen jungen Burschen mit einer beträchtlichen Beherrschung des Nahuatl (wie diese Azteken ihre kehlige, aus umständlichen und wenig wohlklingenden Wörtern bestehende Sprache nennen). Des weiteren haben wir vier unserer eigenen Schreiber im Befragungsraum untergebracht. Diese Ordensbrüder verstehen sich auf jene Kunst des schnellen Schreibens der Tironischen Noten, wie sie in Rom verwendet werden, um noch die kleinste Äußerung Seiner Heiligkeit, ja, selbst den gesamten Verlauf von Beratungen festzuhalten, an denen viele Menschen teilnehmen.
Wir ersuchten den Azteken, Platz zu nehmen und uns seine Lebensgeschichte zu erzählen. Die vier Patres machten hurtig ihre Tironischen Krakel und haben weder da noch später auch nur ein einziges von den Wörtern ausgelassen, die von den Lippen des Indianers tropften. Tropften? Besser sagte man: ein Schwall von Wörtern, die sich stoßweise, widerwärtig und ätzend aus seinem Mund ergießen. Ihr werdet bald sehen, was ich meine, Sire. Vom ersten Augenblick, da er den Mund auftat, hat der Azteke Respektlosigkeit gegenüber uns, unserem geistlichen Gewand und unserem Amt als von Eurer Allerdurchlauchtigsten Majestät höchstselbst ausgewählten Sendboten gezeigt, welchselbige Respektlosigkeit implicite eine Beleidigung unseres Souveräns darstellt.
Wir lassen unseren erläuternden Einführungsworten nunmehr die ersten Seiten des Berichts unseres Indianers folgen. Versiegelt und nur für Eure Augen bestimmt, Sire, wird das Konvolut Tezuitlan de la Vera Cruz übermorgen verlassen, anvertraut der Obhut von Capitàn Sanchez Santovena von der Caravelle Gloria.
Da die Weisheit, Klugheit und das Verständnis Eurer Allererlauchtigsten Majestät allgemein bekannt sind, sind wir uns darüber im klaren, daß wir Gefahr laufen, uns Euren kaiserlichen Zorn zuzuziehen, wollten wir uns anmaßen, den beigefügten Seiten ein caveat voranzuschicken, doch in unserer Eigenschaft als Priester und durch unser apostolisches Amt fühlen wir uns verpflichtet, es dennoch zu tun. Es ist unser aufrichtiger Wunsch, der cèdula Eurer Majestät zu entsprechen und Euch einen wahrheitsgetreuen Bericht über alles zuzuleiten, was es an Wissenswertem über dieses Land gibt. Doch nicht nur wir werden Eurer Majestät erklären, daß die Indianer erbärmliche Geschöpfe sind, in denen sich kaum irgendwelche Spuren von Menschlichkeit finden; welche nicht einmal über eine verständliche Schriftsprache verfügen; welche nie schriftlich niedergelegte Gesetze gekannt haben, sondern nur barbarische Gepflogenheiten und Überlieferungen; welche allen möglichen Arten von Zügellosigkeit, heidnischer Abgötterei, Grausamkeiten und fleischlichen Lüsten verfallen waren und noch verfallen sind und welchselbige bis vor kurzem im Namen ihrer schändlichen »Religion« ihre eigenen Landsleute gefoltert und geschunden haben.
Wir können nicht glauben, daß man von einem Zeugen wie diesem anmaßenden Azteken oder irgendeinem anderen Eingeborenen, und sei er noch so sehr imstande, sich verständlich mitzuteilen, einen erbaulichen Bericht erhalten kann, den zu lesen die Mühe lohnt. Auch können wir nicht glauben, daß unseren gottgesalbten Kaiser Don Carlos anderes als Entsetzen packen kann, angesichts des schändlichen, unflätigen und gottlosen Geschwätzes dieses überheblichen Angehörigen eines so minderwertigen Volkes. Wir haben bezüglich des Beigefügten als vom ersten Teil der Chronik des Indianers gesprochen. Und hoffen inbrünstig und vertrauen darauf, daß es – auf das zu erwartende Wort Eurer Majestät hin– auch der letzte sein wird.
Möge Gott
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