Der Azteke
Passage aus der Niederschrift der eigenen Worte des Angeklagten vorlas und der Ankläger respondierend die Anklage benannte, e. g. »Verunglimpfung der Heiligen Kirche«. Woraufhin der Notarius ein weiteres Zitat vortrug und der Vertreter der Anklage wiederum respondierte: »Verächtlichmachung und Respektlosigkeit gegenüber dem Klerus«. Worauf hinwieder der Notarius vorlas und der Anklagevertreter abermals respondierte: »Verbreitung von Lehren, welche im Widerspruch stehen zu den Heiligen Gesetzen der Kirche«.
Und so weiter, sämtliche Anklagepunkte durch: daß der Angeklagte Autor eines obszönen, blasphemischen und verruchten Buches sei; daß er den christlichen Glauben geschmäht habe; daß er dem Abfall vom Glauben Vorschub geleistet habe; daß er zum Aufruhr und zur Majestätsbeleidigung aufgerufen habe; daß er sich über das heilige Gelübde der Ehelosigkeit lustig gemacht habe; daß er Worte gebraucht habe, welche sich für einen frommen Christen und einen treuen Untertanen der Krone weder auszusprechen noch zu hören geziemt.
Da es sich bei allen Anklagepunkten um schwere Glaubensverfehlungen handelte, wurde dem Angeklagten jede Gelegenheit gegeben, zu widerrufen und abzuschwören, wiewohl vom Hohen Gericht selbstverständlich kein Widerruf anerkannt worden wäre, da ja alle seine ketzerischen Ansichten schriftlich festgehalten worden waren, folglich jeder Anklagepunkt gegen ihn bewiesen werden konnte und das geschriebene Wort untilgbar ist. Doch wie dem auch sei, als der Notarius ihm nochmals, eine nach der anderen, die ausgewählten Passagen aus seiner eigenen Erzählung vorlas: e. g. seine götzendienerische Bemerkung, daß »Eines Tages meine Chronik der gütigen Göttin Kot Fresserin als Beichte dienen wird«, und er nach jedem Zitat gefragt wurde: »Don Juan Damasceno, sind das wirklich Eure Worte?«, er bereitwillig und gleichmütig zugab, daß sie es seien. Er brachte keinerlei Rechtfertigung oder Milderung der Anklagepunkte vor, und als er höchst feierlich vom Vorsitzen den des Gerichts darauf hingewiesen und ermahnt wurde, welch schaurige Strafen er zu gewärtigen habe, so er für schuldig befunden werden würde, sagte Juan Damasceno nur dieses eine:
»Bedeutet das, daß ich nicht in den christlichen Himmel eingehe?«
Er wurde belehrt daß dies wohl die schlimmste seiner Strafen sein werde: daß er nämlich mit größter Gewißheit nicht in den Himmel kommen werde. Woraufhin sein Lächeln jede im Gerichtssaal anwesende Seele mit Entsetzen erfüllte.
Uns als Apostolischem Inquisitor oblag es, ihn auf seine Rechte hinzuweisen: daß, wiewohl ein Widerruf seiner Sünden unannehmbar sei, er dennoch beichten und Zerknirschung bekunden und daher als bußfertig, mit der Kirche versöhnt und daher nur den vom kirchlichen wie weltlichen Gesetz vorgeschriebenen minderen Strafen unterworfen werde, viz. verurteilt zu werden, den Rest seines Lebens auf einer von Eurer Majestät Gefängnisgaleeren zuzubringen. Desgleichen sprachen wir ihm die vorgeschriebene letzte beschwörende Bitte vor: »Ihr bereitet uns durch Eure schuldhafte Verstocktheit größten Kummer. Wir beten, daß der Himmel Euch mit dem Geist der Reue und der Zerknirschung erfüllen möge. Stürzt uns nicht in Betrübnis, indem Ihr an Eurem Irrglauben und Eurer Ketzerei festhaltet: erspart uns den Schmerz, gezwungen zu werden, die gerechten, aber harten Gesetze der Inquisition anzuwenden.« Doch Juan Damasceno blieb verstockt, ging auf unsere Bemühungen nicht ein und blieb unseren Argumenten gegenüber uneinsichtig. Er fuhr nur fort, leise zu lächeln und etwas von einem Schicksal zu murmeln, welches ihm durch sein heidnisches »Tonáli« auferlegt sei, was an sich schon ketzerisch ist. Woraufhin der Polizeihauptmann den Angeklagten zurückbrachte in seine Zelle, während das Gericht sich zur Beratung zusammensetzte, sich bemühte, ein gerechtes Urteil zu finden, selbstverständlich auf Verurteilung, und Juan Damasceno der fortgesetzten Ketzerei für schuldig befand.
Wie von Kirchenrecht und Kirchengesetzgebung vorgeschrieben, wurde das Urteil am folgenden Sonntag in aller Form und öffentlich verkündet. Juan Damasceno wurde aus seiner Zelle herausgeholt und in die Mitte des großen Platzes gebracht, wohin sämtliche Christen der Stadt befohlen worden waren, sich einzufinden und zuzuhören. Infolgedessen war dort eine große Menschenmenge versammelt, zu welcher neben den Spaniern und Indianern unserer verschiedenen Gemeinden auch die
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