Der Azteke
Geschick, Bestimmung, Schicksal, wie immer Ihr es nennen wollt – mich ständig drängen sollen, Soldat zu werden, also den ehrenvollsten Beruf zu ergreifen, den es für unsere Schicht gab, und in der Schlacht zu fallen-, mithin den für Angehörige unseres Standes ehrenvollsten Tod zu sterben. Ich sage: »Hätte sollen«, denn wiewohl mein Tonáli mich häufig verlockt oder gedrängt hat, ausgefallene Wege einzuschlagen, selbst den aufs Schlachtfeld, habe ich nie das Verlangen gespürt, zu kämpfen oder vor meiner Zeit einen gewaltsamen Tod zu sterben.
Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß die Nabelschnur meiner Schwester Neun Rohr, wie es die Sitte bei Neugeborenen weiblichen Geschlechts erheischte, knapp zwei Jahre zuvor unter der Feuerstelle des Raumes vergraben worden war, in dem wir beide geboren wurden. Ihre Nabelschnur hatte mein Vater um ein winziges Spinnrad aus Ton gewickelt; was gewährleisten sollte, daß sie zu einer guten, arbeitsamen langweiligen Hausfrau heranwuchs. Das allerdings tat sie nicht. Neun Rohrs Tonáli gestaltete sich nicht minder wechselhaft als meines.
Nachdem sie mich eingetaucht und gewickelt hatte, wandte die Hebamme sich mit feierlichen Worten unmittelbar an mich – sofern sie sich bei meinem Geschrei überhaupt hat Gehör verschaffen können. Ich brauche wohl kaum zu betonen, daß ich nicht aus der Erinnerung von den Dingen erzähle, die sich bei meiner Geburt abspielten. Aber ich kenne alle mit einer Geburt verbundenen rituellen Handlungen. Die Worte, welche die Hebamme an jenem Nachmittag zu mir sprach, habe ich seither an so manchen neugeborenen Knaben richten hören, denn so geschah es bei allen unseren Neugeborenen männlichen Geschlechts. Es gehörte zu den vielen Ritualen, wie sie aus der Zeit vor aller Zeit auf uns überkommen und nie vergessen worden waren: so gaben die Vorfahren über die Lebenden ihre Weisheit an die Neugeborenen weiter.
Die Hebamme sprach mich mit Sieben Blume an. Diesen Namen – also den Namen des Tages meiner Geburt – sollte ich behalten, bis ich die Gefahren der Kindheit hinter mir hatte, ich sieben Jahre alt war und man annehmen konnte, daß ich weiterleben und großwerden würde, so daß es sich verlohnte, mir einen weniger allgemeinen und eigenen Erwachsenennamen zu geben.
Sie sprach: »Sieben Blume, mein sehr geliebtes und zärtlich zur Welt gebrachtes Kind, dies sind die Worte, die uns vor langer Zeit von den Göttern gegeben wurden. Du bist dieser Mutter und diesem Vater nur geboren worden, um ein Krieger und ein Diener der Götter zu werden. Der Ort hier, an dem du gerade geboren worden bist, ist nicht deine wirkliche Heimat.«
Und sie sprach: »Sieben Blume, du bist dem Schlachtfeld versprochen. Deine höchste Pflicht ist es, der Sonne das Blut deiner Gegner zu trinken zu geben. Erweist dein Tonáli sich als stark, wirst du nur für eine kurze Zeit bei uns und an diesem Orte bleiben. Deine wirkliche Heimat findest du im Land des Sonnengottes Tonatíu.«
Und sie sprach: »Sieben Blume, falls du aufwächst, um als Xochimíqui zu sterben – als einer, der das Glück hat, im Krieg oder durch Opfer den Blumentod zu sterben –, wirst du für immer im glücklichen Tonatíucan, der Gegenwelt der Sonne leben, wirst Tonatíu ewig und immerdar dienen und frohlocken in seinem Dienst.«
Ich sehe, daß Ihr Euch innerlich windet, Euer Exzellenz. Das wäre auch mir so ergangen, hätte ich damals diese bedrückenden Willkommensworte begriffen, mit denen ich in dieser Welt begrüßt wurde, oder die Worte, die unsere Nachbarn und Verwandten sprachen, die hereindrängten, einen Blick auf das Neugeborene zu werfen, wobei ein jeder sich mit dem traditionellen Gruß über mich neigte. »Du bist gekommen, um zu leiden. Um zu leiden und zu erdulden.« Würden Kinder mit der Fähigkeit geboren, eine solche Begrüßung zu verstehen, würden sie sich alle eiligst wieder zurückschlängeln in den Schoß ihrer Mutter und schrumpfen, bis sie wieder so klein wären wie der Samen, aus dem sie gewachsen sind.
Aber zweifellos sind wir auf die Welt gekommen, um zu leiden und zu erdulden; welchem Menschen wäre das je anders ergangen? Doch die Worte, welche die Hebamme über Kriegsdienst und Opfer sprach, waren nur nachgeplappert wie von einer Spottdrossel. Wie viele andere solche erbaulichen Ansprachen habe ich nicht zu hören bekommen – von meinem Vater, von meinen Lehrern, von unseren Priestern – und euren –, die alle gedankenlos wiederholten, was
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