Der azurne Planet
wenig zu verwirrt, um übereilte Handlungen durchzuführen. Zwei Krakons, ein großer und ein kleiner, haben uns Schaden zugefügt. Ich, Sklar Hast, und meine Freunde haben gehofft, wir könnten Tranque davor bewahren. Es ist uns nicht gelungen. Wir sind deswegen noch lange keine Verbrecher. Wir sind nur nicht so stark oder so verschlagen wie König Krakon.«
»Bist du dir darüber im klaren«, donnerte Semm Voiderveg, »daß es König Krakon ganz allein obliegt, uns vor der Gefräßigkeit seiner kleineren Artgenossen zu bewahren? Bist du dir darüber im klaren, daß du durch den Angriff auf den kleinen Krakon gleichzeitig auch den König angegriffen hast?«
Sklar Hast dachte nach. »Alles, worüber ich mir im klaren bin, ist, daß wir bessere Waffen als Hammer und Meißel benötigen werden, wenn wir König Krakon töten wollen.«
Semm Voiderveg wandte sich sprachlos ab. Die Leute musterten Sklar Hast apathisch. Ein paar von ihnen schienen den Zorn der Ältesten zu teilen.
Es war Ixon Myrex, der als erster das allgemein vorherrschende Gefühl des Elends und der Resignation verspürte. »Jetzt ist nicht der richtige Augenblick für Beschuldigungen«, sagte er, und seine Stimme brach unter dem Kummer, den er zu fühlen schien, beinahe zusammen. »Wir müssen Ordnung schaffen, unsere Hütten wieder aufbauen, den Turm reparieren und die Netze flicken.« Er schwieg einen Moment, und schließlich schien etwas von seinem alten Zorn in ihn zurückzukehren. »Sklar Hasts Verbrechen darf jedoch nicht ungesühnt bleiben. Ich werde eine Großversammlung einberufen, die in drei Tagen auf Apprise stattfinden wird. Dort wird über das Schicksal von Sklar Hast und seiner Bande vom Konzil der Ältesten entschieden werden.«
Sklar Hast machte sich auf und ging zu Meril Rohan hinüber, die auf dem Boden saß und das Gesicht in den Händen verborgen hielt, während Tränen ihre Wangen herunterliefen.
»Der Tod deines Vaters tut mir leid«, sagte Sklar Hast unbeholfen. »Es tut mir auch leid um die anderen – aber dein Schmerz macht mich am meisten betroffen.«
Meril Rohan schenkte ihm einen Blick, dessen Bedeutung Sklar Hast nicht durchschauen konnte. Mit einer Stimme, die kaum mehr war als ein heiseres Murmeln, fügte er hinzu: »Irgendwann werden die Leiden des Volkes von Tranque in eine glücklichere Zukunft münden … Das gilt auch für die Bewohner der anderen Plattformen … Ich sehe es als meine Bestimmung an, König Krakon zu töten. Ich fürchte mich nicht vor ihm.«
Mit klarer, leiser Stimme erwiderte Meril Rohan: »Ich wünschte, mir wären meine Pflichten genauso klar. Auch ich muß irgend etwas tun. Ich muß herausfinden – oder helfen herauszufinden –, was für die Katastrophe, die heute über uns hereinbrach, verantwortlich war. War es König Krakon? War es Sklar Hast? Oder etwas gänzlich anderes?« Sie machte einen geistesabwesenden Gesichtsausdruck. Ihr Blick schien in weite Fernen zu schweifen, und es sah ganz so aus, als habe sie die zu ihren Füßen liegende Leiche ihres Vaters ebenso vergessen wie den vor ihr stehenden Sklar Hast. »Es ist eine Tatsache, daß das Böse existiert. Und es muß eine Ursache haben. Meine Aufgabe wird es sein, den Ursprung des Bösen ausfindig zu machen und seine Natur kennenzulernen. Nur wenn wir unseren Feind kennen, können wir ihn schlagen.«
4
Niemand hatte je die Tiefe des Ozeans ausgelotet. In einer Tiefe von achtzig Metern, in die Astschneider und Knollensammler noch vordringen konnten, war der Stamm der Seepflanze noch immer ein wirres Durcheinander. Ein gewisser Ben Murmen, ein Sechser und Lockvogel, der zur einen Hälfte ein tollkühner Abenteurer und zur anderen ein Halbirrer gewesen war, hatte sich einst hundertzwanzig Meter tief hinabgelassen und festgestellt, daß die Pflanzenstengel im Schein des indigoblauen Wassers in einen einzigen großen Strunk mündeten. Jeder Versuch, mit Hilfe von an Leinen befestigten Ballastgewichten aus Knochensplittern den Meeresgrund zu erreichen, war allerdings fehlgeschlagen. Wie war es den Seepflanzen dann überhaupt gelungen, sich in den Ozeanboden einzugraben? Manche vermuteten, daß sie ungeheuer alt waren und möglicherweise bereits Fuß gefaßt hatten, als der Meeresspiegel noch tiefer lag. Andere wiesen auf eine mögliche Senkung des Meeresbodens hin. Wieder andere bemühten sich, dies damit zu erklären, daß sie auf besondere Fähigkeiten der Pflanze hinwiesen, die ihnen noch unbekannt waren. Von
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