Der Barbar
Mund, die Angst in den Augen, die Tränen, das Schluchzen. Purdy reichte der Frau ein sauberes Taschentuch.
»Wir werden jetzt zurückgehen, und dann können Sie mir erzählen, was passiert ist.«
»Der Unfall ist es gewesen...«
Mit diesem Satz begann die Frau ihren Bericht. Sie merkte kaum, dass sie von Purdy Prentiss weiter geschoben wurde. Dabei redete sie ohne Unterlass, und so konnte sich die Staatsanwältin ein gutes Bild von dem Geschehen machen.
Wenn alles so stimmte, dann gehörte diese Frau zu den ersten Personen, die gebremst hatten. Da war diese Gestalt mitten auf der Straße erschienen. Sie hatte eine Kettensäge mitgebracht und sie auch eingestellt. Dieses verfluchte Geräusch war bis an die Ohren der Fahrerin gedrungen. Sie war dann aus dem Heck des eingedrückten Fahrzeugs gesprungen und in ihrer Panik quer über das Feld gerannt, wobei sie vom Regen in die Traufe gekommen war, denn sie berichtete von einem Verfolger.
Darauf sprang Purdy sofort an.
»Sie sind von dieser Gestalt verfolgt worden?«
»Ja, das bin ich.«
»Und dann?«
»Nichts. Ich habe sie über das Feld irren sehen. Sie hat die Säge geschwungen und gelacht. Ich warf mich zu Boden. Ich wollte mich so klein wie möglich machen und mich verstecken. Da habe ich wirklich Glück gehabt, denn sie konnte mich nicht finden. Schließlich bin ich wieder losgelaufen.«
»Okay, ich bringe Sie zum Auto zurück.«
Nach drei Schritten blieb die Frau stehen »Mein Gott, ich kann ja gar nicht mehr fahren.«
»Das wird alles geregelt. Überlassen Sie das ruhig den Beamten der Polizei.«
»Danke, dass Sie sich um mich gekümmert haben. Ich heiße übrigens Ellen Hardy.«
»Purdy Prentiss.«
»Schöner Name.«
Die Staatsanwältin lachte. »Das sagen Sie. Es gibt Kollegen, die sich darüber lustig machen. Aber lassen wir das. Ich werde mit den Beamten reden und alles für Sie regeln.«
»Schaffen Sie das denn?«
»Ich bin Staatsanwältin, aber ebenso wie Sie nur durch einen Zufall in den Stau geraten.«
Ellen Hardy wiederholte den Beruf mit leiser Stimme. »Nun ja, dann kann ja nichts mehr schief gehen.«
Dieser Meinung war Purdy nicht. Aber das behielt sie lieber für sich...
»Ich würde die Warnung an deiner Stelle nicht auf die leichte Schulter nehmen«, sagte Suko, als er mit mir auf die Wohnungstür zuging. »Da kann was auf uns zukommen.«
»Du sagst es. Und du brauchst keine Sorge zu haben, ich werde sie nicht auf die leichte Schulter nehmen. Myxin warnt nicht grundlos. Mal sehen, was der Abend noch bringt.«
»He, du glaubst, dass es noch Action gibt?«
»Weiß man’s?«
»Scharf darauf bist du nicht – oder?«
»Nein. Außerdem habe ich bei Shao wieder ein wunderbares Essen bekommen. Die chinesischen Shrimps aus dem Wok waren allererste Sahne. Ich fühle mich so richtig satt, aber nicht voll. Das ist der Unterschied.«
»Bis später dann.«
Ich ging wieder zurück in meine eigene Wohnung, die mir in diesem Fall so kalt und leer vorkam. Daran hatte ich mich gewöhnt. Klar, wenn ich mit einer Frau zusammengelebt hätte, sähe es anders aus. Da stünden hier und da ein paar Blumen, und da wäre auch die Dekoration eine andere gewesen. Das stimmte schon. Nur besaß ich nicht die Zeit und auch nicht die Lust, mich darum zu kümmern, außerdem hockte ich mehr im Büro als in meiner Wohnung. Und der Job trieb mich zudem immer wieder in die Welt hinaus.
Inzwischen war es 20 Uhr geworden. Ich dachte darüber nach, ob ich noch bei Purdy Prentiss anrufen sollte. Zuvor ging ich in die Küche und holte aus dem Kühlschrank eine Dose Bier. Es war leider die zweitletzte. Nachschub musste besorgt werden.
Nach dem ersten Schluck wollte ich einen zweiten nehmen, aber dagegen hatte das Telefon etwas. Es meldete sich mit dem üblichen Singsang. Ich ging hin und hob ab.
»Aha, du bist zu Hause.«
»He, Purdy!«
»Wen hast du denn erwartet?«
»Keine Ahnung.«
»Du hast mich schließlich angerufen.«
»Und das nicht ohne Grund.«
»Worum geht es?«
Purdy war es gewohnt, sehr schnell zur Sache zu kommen, und auch ich redete nie gern um den heißen Brei herum. In diesem Fall allerdings schlug ich vor, dass wir uns doch besser treffen sollten.
»Ist das Eisen heiß?«
»Ja. Das ist es.«
»Gib mir einen Tipp, John!«
»Atlantis.«
Ich hatte erwartet, eine Antwort zu bekommen. Die erfolgte leider nicht. Dafür schwieg Purdy, und das wiederum ließ die Spirale des Misstrauens in mir hochkeimen.
»Sag nur nicht, dass dir die
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