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Unter Korsaren verschollen

Unter Korsaren verschollen

Titel: Unter Korsaren verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Legere
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WERNER LEGERE

    Unter Korsaren
    verschollen

    Roman aus den letzten Jahren der algerischen
    Korsaren

    VERLAG NEUES LEBEN 1956

    2. unveränderte Auflage Alle Rechte vorbehalten • Lizenz Nr. 303
    (305/55/56)
    Redakteur: Ilse Heymann
    Künstlerische Gestaltung und Typographie: Gerhard Schulz – Manfred Schütz Schutzumschlag, Einband, Tafeln und Vignetten: Gerhard Goßmann, Fürstenwalde Satz und Druck: Karl-Marx-Werk, Pöß-
    neck, V 15130.

    DER NÄCHTLICHE GAST
    Durch die nachtdunklen Straßen Genuas schleicht am 2.
    Februar 1813 ein Mann, biegt in ein Gäßchen im Rücken der stolzen Kaufmannshäuser ein. Unhörbar ist sein Schritt; sorgsam vermeidet er die Stellen, wo aus den wenigen erleuchteten Fenstern ein Lichtstrahl auf das holprige Pflaster fällt. Der Weg scheint ihm bekannt zu sein; nirgends stößt sein Fuß an Kanten oder Steine. Von der San-Lorenzo-Kathedrale dringen Stundenschläge herüber. Auch San-Dominicus am Piazza reale kündet die Zeit: elf Uhr nachts. Der Wanderer hat sich in den tiefen Schatten einer Tür gedrückt. Jetzt geht er weiter, bleibt endlich vor einem Häuschen stehen. Ohne zu suchen, findet er den Türklopfer. Ein kurzer, dumpfer Schlag. Schweigen. Ein längerer zweiter nun. Wieder Stille. Ein dritter, vierter folgen. Der Mann tritt zur Seite und wartet. Gespannt lauscht er die Gasse hinauf und hinab. Sie liegt einsam und verlassen da.
    Trotz der angestrengten Aufmerksamkeit, mit der der nächtliche Besucher die Umgebung betrachtet, entgeht seinem Ohr nichts von dem, was im Innern des Hauses geschieht. Jetzt bemerkt er schlurfende Schritte, die sich der Haustür nähern. Ein Riegel wird zurückgeschoben, ein Schlüssel knarrt im Schloß. Quietschend bewegt sich die Tür in den Angeln. Durch einen Spalt fällt gedämpftes Licht ins Freie.
    »Wer da?« kommt aus dem Halbdunkel des Flurs eine Stimme. Der Fremde murmelt etwas. Das Wort muß dem Öffnenden bekannt sein; denn er schließt die Tür nicht wieder.
    Gelungen wäre es ihm sowieso nicht. Der Einlaßbegeh-rende hatte sofort den Fuß dazwischengestellt. Die Sperrkette wird gelöst, der Fremde kann eintreten. Langsam und gewissenhaft schließt und verriegelt der Pförtner die Tür. Nach diesen Vorsichtsmaßnahmen schlägt er den langen mantelartigen Rock von der Laterne zu-rück und leuchtet dem Gast ins Gesicht. Er sieht nichts weiter als scharfe, stechende Augen. Sonst ist das Antlitz des Eingetretenen durch den breiten, tief in die Stirn gezogenen Hut und den malerisch hochgenommenen weiten Mantel verdeckt.
    »Oh, Herr, Ihr!« Jetzt erst erkennt der Diener, wen er vor sich hat. Sklavisch verneigt er sich vor dem Fremden. Das Licht in seiner Hand schwankt. Er hat Furcht.
    »Seid ihr allein im Haus?« Der kalte, herrische Ton läßt den Alten zusammenzucken.
    »Wir sind es.«
    »Dann führe mich zu deinem Herrn!«
    »Ich… Ich weiß nicht«, stottert der Diener verängstigt.
    »Vorwärts, leuchte! Ich habe keine Lust, lange im Flur zu stehen.«
    »Verzeiht! Der Herr will nicht gestört sein.«
    »Was kümmert’s mich.«
    »Ich werde Euch melden. Geduldet Euch einen Augenblick.«
    »Nichts da, leuchte! Oder soll ich mir meinen Weg allein suchen?«
    Die Angst vor dem nächtlichen Besucher ist größer als die vor dem Hausherrn; deshalb fordert der Diener mit einem: »So kommt, Herr!« zum Folgen auf.
    Im ungewissen Licht der Laterne wirkt das Innere des Hauses gespenstisch. Der Fremde nimmt keine Kenntnis davon. Er zuckt nicht für den Bruchteil einer Sekunde zurück, als ihn plötzlich aus dem Dunkel zwei Augen anblitzen. Es sind die Glasaugen einer ausgestopften Eule, die vom Licht getroffen aufleuchten. Würde der Diener sich einen Augenblick umdrehen, dann würde ihm lediglich auffallen, daß der Besucher spöttisch dreinblickt.
    Endlich macht der Führer vor einer Tür halt. Schon will er klopfen, da schiebt ihn der Fremde, dessen Gesicht noch immer unter dem Mantelkragen verborgen ist, zur Seite und öffnet.
    Die einzelne Kerze im schweren silbernen Leuchter flackert auf, als der Luftzug durch die geöffnete Tür über sie streicht. Der Besucher kann nicht genau unterscheiden, wie viele Menschen in dem großen, so spärlich er-hellten Raum sind. Wie er in der Tür steht, hinter sich den gebückten Diener mit der Laterne, deren Schein ihn umfängt, wirkt er furchterregend – ein unheimlicher Gast.
    Lautlos ist die Tür geschlossen worden. Die Kerze brennt wieder ruhig und gleichmäßig. Drei Männer befinden sich jetzt

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