Der Baum des Lebens
falschen Wachmann. Sein Retter musste ihn überwältigt und in den Kanal geworfen haben.
Aber wer hatte ihn so beschützt? Ohne das Eingreifen des Unbekannten wäre Iker jetzt tot.
Mit unsicheren Schritten ging Iker nach Hause.
Sekari schlief vor der Tür. Neben ihm stand ein leerer Bierkrug. Als Iker über ihn wegsteigen wollte, stieß er gegen Sekaris Schulter.
»Ach so, du bist es! Du schaust ja seltsam aus. Aber sag mal, was hast du da am Hals… Das sieht aus wie Blut! Du bist ja wirklich in einem schönen Zustand!«
»Ich hatte einen Unfall.«
Iker machte sich eine Kompresse aus Honig und Öl.
»Was für ein Unfall war das denn?«
»Ein Unfall eben. Entschuldige bitte, aber ich bin müde.«
Für Iker gab es keinen Zweifel: Der Pharao hatte den Mann geschickt, um Iker unauffällig und ungestraft loszuwerden. Entweder hatte der Stadtvorsteher oder aber Heremsaf Sesostris über die Anwesenheit des jungen Schreibers in Kahun unterrichtet. Der Monarch konnte es nicht dulden, dass dieser Ankläger, der entschlossen schien, seine schändliche Gesinnung öffentlich zu beweisen, noch am Leben war.
Sekari servierte ihm kalte Milch und einen warmen Bohnenkuchen. »Ehe du aufgewacht bist, hatte ich Zeit, mich etwas in der Stadt umzuhören. Angeblich hat man den Leichnam eines Unbekannten gefunden, in einem Kanal vor der Stadt. Liebe Tierchen hatten schon damit begonnen, sich an ihm gütlich zu tun.«
Iker reagierte nicht.
»Es ist wahrscheinlich besser, wenn du deine Verletzung unter einem Schal versteckst, was meinst du? Sag einfach, du hast Halsschmerzen.«
Der Schreiber befolgte Sekaris Rat und machte sich auf den Weg in die Bibliothek. Der Töpfer saß nicht an seiner Scheibe, und sein Ofen war aus. Iker fragte in der Nachbarschaft nach ihm. Ein Bäcker wusste, dass der Handwerker nach Norden, in seine Heimat zurückgegangen war und dass bald ein anderer Töpfer seinen Platz einnehmen würde.
Dieser erneute Zwischenfall bestärkte Iker nur in seinen Vermutungen.
»Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?«
»Ich war sehr vorsichtig«, beruhigte ihn Bina. »Und wie ist es mit dir, Iker?«
»Ich weiß, dass ich keinem trauen darf.«
»Mir auch nicht?«
»Bei dir ist es etwas anderes: Du bist meine Verbündete.«
Die junge Asiatin hätte am liebsten einen Freudensprung gemacht. »Dann willst du mir also helfen?«
»Der Herrscher lässt mir keine Wahl. Einer seiner Schergen wollte mich gerade umbringen. Und es muss jemand von deinen Freunden gewesen sein, der mich gerettet hat. Habe ich Recht?«
»Ja, natürlich«, beeilte sich Bina zu antworten. »Wie du siehst, passen wir auf dich auf.«
Bina war verwirrt. Sie wusste nicht, wer Iker angegriffen, und schon gar nicht, wer ihn verteidigt hatte.
»Mein Entschluss ist gefasst«, erklärte der junge Mann, »und ich habe eine Überraschung für dich.«
Iker zeigte ihr den Messergriff, auf dem der Name Gefährte des Windes stand. Jetzt trug er eine lange, zweischneidige Klinge.
»Das ist die Waffe, mit der ich Pharao Sesostris töten werde, das blutrünstige Ungeheuer, das mein Land unterdrückt.«
61
»Ich bin bereit«, erklärte General Nesmontu dem Pharao. »Sobald Ihr mir den Befehl erteilt, greifen wir vom Fluss und von der Wüste aus an. So können wir Chnum-Hoteps Truppen in die Zange nehmen, und die Überraschungswirkung sorgt für einen schnellen Sieg.«
»Da dürfen wir nicht allzu zuversichtlich sein«, gab Sehotep zu bedenken. »Nach allem, was wir wissen, kämpfen sie wie die Löwen. Und wenn sie auch nur den geringsten Verdacht schöpfen, werden sie uns einen schönen Empfang bereiten! Falls wir große Verluste machen, sollten wir an Rückzug denken.«
»Deshalb müssen wir unverzüglich angreifen«, beharrte Nesmontu. »Jeder Tag mehr, der vergeht, ist von Nachteil für unser Vorhaben.«
»Das ist mir bewusst«, gab Sesostris zu, »trotzdem möchte ich abwarten, bis der Große Schatzmeister Senânkh eintrifft. Die Neuigkeiten, die er bringen wird, könnten den gesamten Lauf der Dinge verändern.«
Der Monarch erhob sich und erklärte die Beratung für beendet. Keiner besaß so viel Unverfrorenheit, nach ihm noch einmal das Wort zu ergreifen. Dem alten General blieb nichts anderes übrig, als sich mürrisch brummelnd in seine Unterkunft zurückzuziehen. Aber bei der erstbesten Gelegenheit würde er Sesostris davon zu überzeugen versuchen, seine Entscheidung rückgängig zu machen und so
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