Der Beethoven-Fluch
integrierten Vierecken sowie diagonal in zwei Dreiecke zerteilte Quadrate. Den Blick auf dieser Runen gerichtet, versuchte Meer, den Symbolen einen Sinn abzugewinnen. Nach einiger Zeit fiel ihr auf, dass eines der Zeichen gar keine in den Stein geritzte Markierung war, sondern ein rostiger Eisenring. Ein aus dem Mauerwerk ragender Griff.
Die schorfigen Kanten schrammten ihr die Haut auf und stachen ihr ins Fleisch. Sie versuchte, den Griff zu bewegen, aber er rührte sich nicht. Wie viele Jahre mochten es her sein, seit man ihn zuletzt benutzt hatte? Abermals probierte sie es, doch inzwischen bluteten ihre Hände so heftig, das sie abrutschten und gar nicht richtig zupacken konnten. Sie zog die Jacke aus, wickelte sie um den Ring und machte den nächsten Versuch. Sie krümmte den ganzen Körper; ihr Rücken protestierte, aber sie achtete nicht darauf. Und diesmal gelang es ihr, den Griff ein ganz klein wenig zu lockern. Sie packte noch fester zu, drückte mit aller Kraft – und endlich, sie schaffte es, den Eisenring um volle einhundertachtzig Grad zu drehen. Das Scharnier gab nach, und ein Törchen öffnete sich in eine weitere Krypta – sehr zu Meers Verzweiflung. Anscheinend führte eine Geheimkammer immerzu in eine nächste, kleinere; ein bisschen wie die Matroschka-Püppchen, die ihr Vater ihr einmal von einer Schatzsuche aus Russland mitgebracht hatte.
Durch schmale, in Augenhöhe angebrachte Fensterschlitze sickerte so etwas wie Tageslicht. Ringsum, so erkannte Meer nun mit Grausen, befanden sich einmal mehr nur schaurige Überbleibsel einer weiteren Katakombe: noch mehr Gebeine und Totenschädel, wahllos angehäuft wie Abfall, eine ganze Kammer voll, Reste von längst vergangenen Leben. Dann aber bemerkte sie einen Schatten an der gegenüberliegenden Wand. Irgendetwas musste diesen Schatten doch werfen! Als Meer sich auf die Stelle zubewegen wollte, geriet sie ins Stolpern und stürzte, direkt auf einen Haufen Gebeine, die knackend unter ihr zerbarsten – ein Gefühl, bei dem sich ihr der Magen umdrehte.
Der Schatten führte zu einer Wandattrappe, hinter der sich eine Stiege verbarg. Weniger steil und mit trockenen Stufen, bereitete sie Meer keine Schwierigkeit. Zwölf Tritte bloß, dann stand sie vor einer Tür, die sich nach außen öffnen ließ, diesmal ganz ohne Probleme. Warme, leicht harzig riechende Luft schlug ihr entgegen. Verblüfft blickte Meer sich um.
Über ihr erhob sich ein kathedralenartiges Gewölbe. Buntes Licht, das durch meisterhafte Farbglasfenster strömte, fiel ihr geradewegs bis vor die Füße. Gemurmel drang an ihr Ohr; sie fuhr herum und entdeckte zwei Geistliche, die sich gedämpft vor einem Beichtstuhl unterhielten.
Meer rannte auf die beiden zu. “Ich brauche Hilfe!”, brach es aus ihr heraus.
84. KAPITEL
K onzertgebäude des Musikvereins
Donnerstag, 1. Mai – 16:22 Uhr
In der Einsatzzentrale, dem provisorischen Büro im hinteren Teil des Konzertgebäudes, überflog Tom Paxton die aufgereihten Monitore. Dort waren die strategischen Ein- und Ausgänge des Baus sowie alle weiteren von Global Security als “gefährdet” eingestuften Bereiche zu sehen. Außer dem Fehlalarm war nichts weiter passiert, was auf verdächtige Aktivitäten hingedeutet hätte. In viereinhalb Stunden würde das Ganze hinter ihnen liegen. Man konnte wohl davon ausgehen, dass Global Security danach mit Aufträgen überschwemmt werden und aus der finanziellen Klemme heraus sein würde.
Nur wenige Schritte von ihm entfernt, ging Kerri gerade telefonisch die Namensliste des akkreditierten Pressekorps durch. Nach Ende des Gesprächs begann sie gleich das nächste, lauschte wartend, bis sich die automatische Ansage meldete, und legte dann wieder auf.
Paxton sah ihr an, dass etwas faul war. “Was gibt’s?”
“Alle Pressevertreter sind durch – bis auf David Yalom. Der geht immer noch nicht ans Handy.”
“Ich traue dem Braten nicht. So nachvollziehbar es auch war, was der Bursche am Dienstag über den Schutz seiner Quellen gesagt hat …” Paxton runzelte die Stirn. “Am Montag trifft er sich mit jemandem, der genug Semtex dabei hat, um eine Linienmaschine in die Luft zu jagen – und jetzt ist er plötzlich
spurlos verschwunden
? Yalom würde sich doch nie im Leben das Konzert heute Abend entgehen lassen! Es sei denn, er ist an einer noch größeren Sache dran.”
Auch Kerri zog nachdenklich die Stirn kraus. “Ich sehe mal, ob er seinen Presseausweis abgeholt hat.”
“Fragen Sie
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