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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.j. Rose
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wollen.”
    “Mein Vater? Geht es ihm gut?”
    “Vorläufig noch. Ob das so bleibt, hängt von Ihnen ab.”
    Sie zögerte keine Sekunde. “Was Sie wollen, ist dort.” Sie zeigte auf das Kreuz.
    “Her damit!”
    Es waren bloß vier Schritte bis zum Kruzifix. Meer streckte den Arm nach oben und fasste suchend in den schmalen Zwischenraum zwischen Jesusfigur und dem glatten Holz des Kreuzes. Schließlich stieß sie mit den Fingerspitzen auf etwas, das sich anfühlte wie die Kanten eines zusammengefalteten Papierbogens. Also hatte sie zuvor an der falschen Stelle gesucht! Das Blatt war gar nicht vergraben! Sondern dort oben!
    Sie zog es hervor. Es war nur noch ein von Insekten zerfressener, halb vermoderter, faulig riechender Fetzen Papier mit ein paar zusammenhanglosen Notenklecksen darauf. Der Modergestank war so widerwärtig, dass sie das Gesicht zur Kapellendecke wandte. Regentropfen quollen durch die Ritzen in dem zweihundert Jahre alten Gebälk, blieben einen Moment unter den Brettern hängen und landeten dann, einer nach dem anderen, klatschend auf Meers Stirn und Wangen.
    Hielt sie da tatsächlich in Händen, was einmal die von Beethoven eigenhändig niedergeschriebene Tonfolge der Melodie der untergegangenen Erinnerungen gewesen war? Dabei hatte er doch alle Welt mit solcher Mühe davon zu überzeugen versucht, dass er die Notenfolge nie herausgefunden hatte! Zwar konnte er nun die kümmerlichen Reste seines Werkes nicht mehr selber beschützen, doch sie, Meer, sie konnte es! Indem sie die Hände einen halben Zoll zur Seite bewegte, brachte sie den fauligen Fetzen genau unter die durch die Dachritzen dringenden Regentropfen. Im Nu verlief auch die restliche Tinte; die wenigen noch entzifferbaren Noten verwischten zu unleserlichen Klecksen.
    Der Maskierte riss ihr den zerbröselnden Fetzen aus der Hand und hielt ihn sich vor die Augen. Für einen winzigen Moment achtete er nicht mehr auf Meer, und diese eine Sekunde reichte ihr zur Flucht.

57. KAPITEL
    D ienstag, 29. April – 17:56 Uhr
    Im strömenden Regen war das Waldgelände trügerisch; für Meer wurde es unmöglich, sich auf ihrer Flucht zu orientieren oder einen markanten Geländepunkt anzupeilen. Sie wusste nur eins: Wenn sie nur immer bergab lief, würde sie irgendwann automatisch aus dem Waldgebiet herauskommen. Dann könnte sie Hilfe für Sebastian holen.
    Sie stolperte über Wurzeln, Ranken und Zweige, raffte sich aber immer aufs Neue auf und lief weiter den Hügel hinunter, dabei lauschte sie angestrengt nach einem Verfolger. Sie wusste ja: Nur, weil sie ihn bei Donner und Wolkenbruch nicht hörte, hieß das noch lange nicht, dass er ihr nicht trotzdem nachsetzte.
    Hatte der Mann im Anorak es auf sie persönlich abgesehen oder bloß auf das Blatt Papier? War ihr die Flucht gelungen? Oder kannte der Kerl sich so gut aus im Wienerwald, dass er ihr irgendwo weiter unten auflauerte? Musste sie nun erst recht um Sebastians Leben fürchten, weil sie geflohen war? Sollte sie nicht besser kehrtmachen, um ihm zu helfen?
    Ein blendender Blitz tauchte die Tannen ringsum für einen Wimpernschlag in weißliches Licht; im selben Moment glitt Meer auf einer lehmigen Lache aus und geriet ins Rutschen. Verzweifelt bemüht, sich noch an einem Stein oder Stumpf festzuhalten, fuchtelte sie mit den Händen, griff aber nur ins Leere – und rutschte immer weiter bergab.
    Schließlich bekam sie doch noch eine über dem Boden verlaufende Baumwurzel zu packen. Eine geraume Weile blieb sie so liegen, Geruch und Geschmack von nassem Waldboden in Nase und Mund, bis ihr allmählich dämmerte, dass kein Verfolger über ihr auftauchte, sich keine Pistolenmündung in ihre Seite bohrte, sie nicht brüllend hochgescheucht wurde. Ganz langsam gelangte sie zu der Erkenntnis, dass ihr wohl niemand gefolgt war, denn sonst hätte man sie ja längst gefunden. Arme, Beine, Brust und Rücken – alles tat ihr weh.
    Auf allen vieren kroch sie zu einer zwei Meter entfernt stehenden Tanne und zog sich ungeachtet ihrer Schmerzen am Stamm hoch. Sebastian brauchte Hilfe. Nur: wie konnte man ihm am besten helfen? Das war die Frage. Wieder den Hügel hoch, zurück zur Hütte? Oder doch lieber runter in den Ort, zur Polizei? Ja, hätte sie nur gewusst, wie schwer seine Verletzung war! Unschlüssig, hin-und hergerissen, welche der beiden Möglichkeiten die bessere war, entschied sie sich für den Neuanstieg zur Kapelle.
    Sie war gerade mal einige Minuten unterwegs, da sah sie rechterhand

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