Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
Prolog
Der Ballsaal war in sanftes Kerzenlicht getaucht, winzige Flammen tanzten und spiegelten sich in den Augen derer, die sich zu der Zeremonie zusammengefunden hatten. Die junge Frau, die Auserwählte, trat unsicher in ihre Mitte, ohne dass ihre nackten Füße auf dem dunklen, glänzenden Holzboden auch nur das leiseste Geräusch verursacht hätten. Die überirdische Schönheit der eleganten, anmutigen Gestalten mit der blassen Haut raubte ihr schier den Atem. Sie alle waren gekommen, um an diesem Ereignis teilzunehmen, das der bedeutendste Moment im Leben der jungen Frau werden sollte.
Und der letzte ihres von der Natur vorherbestimmten Lebens.
Zwar hatte sie gelegentlich einen Blick auf ähnliche Gestalten wie ihren Liebhaber werfen können, aber so viele auf einmal hatte sie noch nie gesehen. Es war beeindruckend, überwältigend … und ein klein wenig beängstigend.
Rosalyn. Es klang, als würden alle um sie herum ihren Namen flüstern, doch nicht ein einziger Mund bewegte sich. Bald würde sie die Gedanken der Anwesenden genauso lesen können wie diese ihre. Diese Gestalten würden ab jetzt ihre Familie sein, eine Familie, die in direkter Linie von einer pharaonischen Göttin abstammte. Sie alle gehörten zum Geschlecht der Ptolemy, dem höchste Verehrung gebührte.
Den Anweisungen folgend war sie nur mit einem hauchdünnen, blütenweißen Seidenkleid bekleidet zu dem imposanten Herrenhaus irgendwo im Niemandsland gekommen. Schon bald, das war Rosalyn klar, würde dieses Kleid verschwunden sein. Ihr neues Leben würde sie genauso beginnen wie ihr erstes, nackt und rein. Ängstlich suchte sie den Raum mit den Augen nach ihrem Liebsten ab, demjenigen, der all dies möglich gemacht hatte und der sie so sehr liebte, dass er sie für immer an seiner Seite wissen wollte. Doch sie waren ihr allesamt unbekannt, diese Gesichter mit den im Halbdunkel unnatürlich funkelnden Augen. Manche der Gestalten betrachteten sie voller Interesse, andere mit unverhohlenem Hunger. Wenigstens sind nicht alle unfreundlich, tröstete sie sich, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihr ein Schauder über den Rücken lief.
Denn keins der Gesichter gehörte ihrem Jeremy.
Rosalyn holte tief Luft und schritt weiter, fest entschlossen, sich nicht von der Angst vor dem Unbekannten überwältigen zu lassen. Jeremy hatte Schritt für Schritt den vorgeschriebenen Weg befolgt, und dazu hatte auch gehört, dass sie von einem Abgesandten von Arsinöe höchstpersönlich befragt worden war. Erst dann hatte sie den unerlässlichen Segen der Königin und somit auch die Erlaubnis erhalten, Mitglied des geheiligten Geschlechts der Ptolemy zu werden. Die letzte Woche hatte sie damit verbracht, Vorbereitungen zu treffen und sich von ihrer angestammten Familie zu verabschieden, die noch gar nicht recht begriff, wie endgültig dieser Abschied war. Der Schritt in ihr neues Leben bedeutete den endgültigen Bruch mit dem alten, und darüber hatte sie durchaus mehr als nur eine Träne vergossen. Trotzdem – der Gewinn war größer als der Verlust. Nicht länger würde sie bloß eine von vielen menschlichen Geliebten im Harem eines Vampirs sein, wo sie – wenn auch wohl versorgt – lediglich zur häufigen Blutentnahme diente.
Jetzt würde sie für immer Jeremys Lebensgefährtin sein. Zum ersten Mal würde auch sie sich von ihm nähren können. Sobald die Zeremonie vorbei und ihre Hand mit dem Zeichen gebrandmarkt war, das sie für immer an die alte, von Sekhmet gesegnete Dynastie band, würde sie – da war Rosalyn sich vollkommen sicher – ohne Reue in ihr neues Leben treten, Hand in Hand mit ihrem Liebsten. Dann würde sie Rosalyn aus dem Geschlecht der Ptolemy sein.
Nur … wo steckte Jeremy?
Die etwa dreißig Zeugen bildeten einen weiten Kreis um sie herum, sodass sie allein und schutzlos in der Mitte stand. Sie waren unerträglich still, wie es ihrer Gattung entsprach, doch Rosalyn hatte Anweisung bekommen, erst zu reden, wenn sie angesprochen wurde. Also wartete sie geduldig, drückte die Schultern durch und reckte das Kinn vor. Man hatte sie für würdig befunden. Daran hielt sie sich fest, und ansonsten konnte sie nur hoffen, dass sie diese Würde auch ausstrahlte. Ihr langes glattes Haar hatte sie gebürstet, bis es glänzend wie gesponnenes Gold auf ihre Schultern herabfiel, aber ihr zartes Gesicht hatte sie ungeschminkt gelassen, weil es Jeremy so besser gefiel. Nach diesem Abend, dachte Rosalyn beim Anblick der umwerfend schönen
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