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Der Bernstein-Mensch

Der Bernstein-Mensch

Titel: Der Bernstein-Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford & Gordon Eklund
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lenkte ihn von dem Gestank ab. Es war ein seltsamer, dicker Geruch, und irgend etwas daran brachte sein sorgfältig gewahrtes Gleichgewicht ins Wanken. Er klebte wie Pazifiknebel. Vollreifer Mist, hatte Reynolds gedacht, als er durch die Luftschleuse hereinkam. Er hatte sich umgewandt und Kelly, die dicht in ihren Anzug gehüllt war, wütend angestarrt und ihr von dem Geruch erzählt. „Jeder stinkt“, hatte sie gesagt, gleichmütig, vielleicht im Scherz, vielleicht auch nicht, und dann hatte sie ihn in der leichten Zentrifugalgravitation weggestoßen. Weg in ein Gewirr von engen Gängen, die ihn schließlich dorthin führen würden, wo er den ersten bestätigten intelligenten fremden Wesen geradewegs in die Augen blicken würde. Das heißt, falls sie Augen besaßen.
    Es amüsierte ihn, daß er dieses Privileg haben sollte. Die Ehre hätte jemand anderem eher gebührt, einem Jüngeren, dessen winziger Auftritt in der zukünftigen Geschichte der menschlichen Rasse noch nicht stattgefunden hatte. Mit seinen achtundfünfzig Jahren hatte Reynolds längst schon ein ausgefülltes, abwechslungsreiches Leben hinter sich. Zu ausgefüllt, dachte er manchmal, für einen einzelnen Mann. Was also war mit diesem Tag? Was war heute? Eigentlich ließ es ihn ziemlich kalt; es brachte lediglich die Fülle seines Lebens über alle Vernunft hinaus in das Reich endgültiger Absurdität.
    Wieder gabelte sich der Korridor. Er fragte sich, wo er sich wohl in der unebenmäßigen, verdrehten Hülle des Schiffes genau befinden mochte. Er hatte versucht, alles, was er sah, im Gedächtnis zu behalten, aber da war nichts, absolut nichts als Metall mit feinen Nähten, ab und zu eine Stelle, an der er sich bücken oder kriechen mußte, und immer derselbe schreckliche Geruch. Jetzt wußte er, was ihn gestört hatte, als er das Schiff zum ersten Mal vom Mond aus im Teleskop sah. Es erinnerte ihn in Form und Größe an ein Gebäude, in dem er vor nicht allzu vielen Jahren während der kurzen Dauer seiner letzten Ruheperiode 2008 und 2009 in Sào Paulo in Brasilien gelebt hatte: ein hoher, ultramoderner Apartmentkomplex von entschieden radikalem Design. Auf der Erde gebe es nichts Vergleichbares, hatten die Werbeplakate verkündet, und er hatte ihnen zugestimmt. Er hatte es auf den ersten Blick verabscheut. Jetzt allerdings gab es etwas Vergleichbares – aber nicht auf der Erde.
    Das Gebäude hatte gewiß nicht ausgesehen wie ein Raumschiff, aber das tat dieses Ding hier auch nicht. Ein Teil des einen Endes war in komplizierter Weise konstruiert, ein Zylinder mit interessanten Modifikationen. Eine lange, glatte Röhre schloß sich daran an, und an ihrem anderen Ende saß etwas wirklich absurdes: ein Kegel, der sich auswärts und vom Schiff abgewandt öffnete und völlig leer war. Absurd – bis man erkannte, was das war.
    Die Antriebsquelle des Raumschiffes waren buchstäblich Wasserstoffbomben. Die Mittelröhre enthielt offenbar eine große Anzahl von Fusionsvorrichtungen. Eine nach der anderen wurden die Bomben ausgeklinkt, trieben zur Mündung des Kegels und wurden gezündet. Der Kegel war ein riesiger Stoßfänger, und der Explosionsdruck der Bombe trieb das Schiff vorwärts. Ein Rube-Goldberg-Sternenantrieb …
    Direkt vor ihm teilte sich der Korridor säuberlich, wie eine Röstgabel mit zwei Zinken. Das weckte eine Erinnerung: Röstgabel, ja, in den Tagen, da er noch Fleisch aß. Er hielt sich links und folgte dem richtigen der beiden Zinken. Er hatte recht klare Anweisungen erhalten.
    Er fühlte immer noch ein deutliches Unbehagen. Vielleicht lag es an seiner Kleidung, daß ihm alles so völlig verkehrt vorkam. Es war nicht richtig, durch ein außerirdisches Labyrinth zu laufen – in Hemdsärmeln und einer ganz normalen Hose. Ein Fußgänger.
    Aber die Luft war atembar, wie sie es versprochen hatten. Ob sie dieses spezielle Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch wohl auch atmeten? Und ob sie den Gestank mochten?
    Wieder teilte sich der Korridor vor ihm. An dieser Stelle war der Geruch grauenvoll stark. Er zog, würgend beinahe, den Kopf ein und sprang durch eine runde Öffnung.
    Es war ein großer Raum. Wie im Korridor befand sich auch hier die Decke gut sieben Meter über dem Boden, aber die Wände trugen leichte Pastelltöne von Rot, Orange und Gelb. Die Farben vermischten sich auf sämtlichen Wänden in willkürlichen, planlosen Mustern. Es sah sehr hübsch aus, fand Reynolds, ganz und gar nicht fremdartig. Außerdem standen an der

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