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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Erzähl mir von dir.«
    »Viel ist nicht zu sagen, Herr. Ich bin die Tochter der Cosima Dennes und eines Vaters, den ich nicht kenne. Meine Mutter starb vor zwei Jahren, und seit jener Zeit leben wir von ihrem Ersparten.«
    »Horsel und du?«
    »Ja, Horsel und ich. Sie war einst meine Amme. Schon vor meiner Geburt waren sie und Mutter Freundinnen. Sie bekamen ungefähr gleichzeitig ihre Kinder, aber Horsels starb kurz nach der Geburt. Darum kümmerte sie sich um mich und führte uns die Wirtschaft.«
    »Ich kenne Horsel. Sie ist eine geschäftige Frau, und es ist erstaunlich, dass sie noch die Zeit findet, sich um dich zu kümmern. Schließlich betreibt sie nebenbei noch ihre Schenke.«
    »Ja, ich bin ihr sehr zu Dank verpflichtet.«
    »So sehr, um mich heute hier zu empfangen?« Anna zuckte mit den Schultern.
    »Was sollte ich wohl ansonsten tun, Herr?«
    »Es gibt andere Möglichkeiten für ein sittsames Mädchen.«
    »Haltet Ihr mich etwa für ein sittsames Mädchen?« »Ich kannte deine Mutter.«
    »Dann könnt Ihr schwerlich glauben, dass ich sittsam bin.«
    »Cosima war eine anständige Frau. Nach meinen Maßstäben. Horsel hat mir nicht gesagt, dass die versprochene Jungfrau ihre Tochter ist.«
    »Oh.«
    Anna war sprachlos. In ihrem Weltbild gab es nur zwei Kategorien von Menschen – die ehrlichen und die unehrlichen. Zu den ehrlichen gehörten die Bürger der Stadt, die Handwerker, die Händler, die Kaufleute, die Zunft- und Gildemeister, die Ärzte, Juristen und Ratsherren, die Wachen und Soldaten, die Geistlichen, die Stiftsfrauen, Nonnen und Beginen. Zu den unehrlichen gehörten die anderen. Nicht nur die Bettler, die Narren und Aussätzigen, auch die Dirnen, Gaukler und Komödianten, die Schinder, die Hundsschläger und die Goldgräber. Und ihr Herr, der Henker. Mochte sie selbst auch eine gute Erziehung erhalten haben und in gewissem Luxus leben, so war ihr doch auf Grund ihrer Herkunft der Zugang zu den bürgerlichen Kreisen so gut wie verwehrt. Der Mann, der so eigenartig zu ihr sprach, verblüffte sie aufs Neue. Er sah es offensichtlich anders.
    »Was schlagt Ihr vor, dass ich ansonsten tue, Herr? Wie soll ich meinen Lebensunterhalt sichern? Ein Handwerk habe ich nicht gelernt, ein ehrbarer Händler oder Handwerker wird mich kaum ehelichen, ein Stift wird mich nicht aufnehmen, und in ein Kloster, Herr, möchte ich nicht gehen.«
    »Du könntest dich den Beginen anschließen. Du kannst offensichtlich lesen und schreiben.« Er wies aufdas Lesepult und die Bücher. »Sie nehmen gebildete Frauen gerne auf, die bereit sind, für ihre Gemeinschaft zu arbeiten.«
    »Sie verlangen eine Mitgift.«
    »Natürlich. Dieses Haus?«
    »Ist gemietet.«
    Er schwieg nachdenklich und trank seinen Wein. Anna tat es ihm gleich, und gab, als sie das Glas abgestellt hatte, ihre vorsichtige, starre Haltung allmählich auf. Sie saß nun bequem an das Kopfpolster gelehnt und hielt die Hände entspannt im Schoß gefaltet.
    »Möchtest du das Leben deiner Mutter führen, Anna?«, fragte er schließlich.
    »Nein, Herr. Ich möchte lesen und zeichnen und die Laute spielen. Ich würde auch gerne heiraten und Kinder aufziehen, aber das ist nicht ganz so wichtig. Ein ruhiges Leben möchte ich führen, in dem ich mich nicht verstellen muss. Meine Mutter musste stets fröhlich sein, wenn ihre Gönner kamen, gleichgültig, ob sie krank war oder Sorgen hatte. Ich kann das nicht.«
    »Nein, du bist keine gute Schauspielerin, das habe ich schon gemerkt. Du hast dir sogar die Schminke aus dem Gesicht gewischt.«
    »Woher...?«
    »Die Tiegel und Töpfe stehen doch nicht von ungefähr dort.«
    »Nein. Ihr habt Recht. Auch Rot auf den Lippen macht aus mir keine Buhle.«
    Sie lächelte ihn plötzlich an, und er nahm ihre Hand. Diesmal zuckte sie nicht zurück.
    »Wir wollen ein Geschäft machen, Anna.«
    »Ihr habt ein Geschäft mit Horsel gemacht!«
    »Ich will es mit dir machen. Ich zahle dir den doppelten Betrag aus, den ich mit Horsel ausgehandelt habe.
    Unter der Voraussetzung, dich nie als Dirne in dieser Stadt zu erleben. Du kannst das Geld als Mitgift für die Beginen verwenden. Versuch es am Eigelstein. Das sind arbeitsame, einfache Frauen.«
    Anna atmete tief durch. Das war eine Gelegenheit, mit der sie nie und nimmer gerechnet hatte. Ein Tor zur Freiheit tat sich unerwartet auf. Mit aufrichtiger Dankbarkeit in der Stimme antwortete sie: »Das kann ich Euch versprechen, Herr.«
    »Nun, dann erfüllt jetzt Euren Teil des Handels!«

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