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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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kein alter, sabbernder Prälat oder gichtkrummer Ratsherr. Aber er ließ auf sich warten, und als Anna noch einmal in den Spiegel schaute, schüttelte sie ablehnend den Kopf. Sie fühlte sich fremd mit all der Schminke im Gesicht. Mit einem entschlossenen Griff nahm sie das Tuch neben dem Waschgeschirr auf, tauchte es in die Schüssel und wusch sich mit einigen energischen Bewegungen die falschen Farben von Wangen, Lippen und Augen. Wenn sie sich schon verkaufen musste, dann als ehrliche Ware. Wer sollte sich schon beklagen, schließlich wollte der Mann eine Jungfrau, keine erfahrene Buhle.
    Es war bereits dunkel geworden, als es endlich an der Haustür pochte. Horsels Stimme erklang, dann auch die eines Mannes. Anna fühlte ihr Kehle eng werden. Sicher, die Amme hatte ihr in verständigen Worten erklärt, was geschehen würde. Das war vermutlich mehr, als manche Braut wusste, der ihre Hochzeitsnacht bevorstand. Aber – Angst hatte sie dennoch.
    Schritte kamen die Stiege herauf, die Tür öffnete sich. Horsel trat ein, musterte sie kurz und gab ein unwilliges Brummen von sich, als sie Annas ungeschminktes Gesicht bemerkte, hielt sich aber mit einem Kommentar zurück.
    »Hier, Anna, ist der Herr, der dich besuchen möchte.«
    Ein breitschultriger, hoch gewachsener Mann erschien hinter ihr. Im Schein der Kerzen, die auf dem Tisch standen, wirkte er dunkel. Schwarz war sein Umhang, schwarz sein Wams und die Hosen. Er hatte scharf geschnittene Züge, seine dunklen Haare trug er kurz und dicht anliegend, seine Wangen und sein vorspringendes Kinn glatt rasiert. Er war ansehnlich, aber streng. Möglicherweise sogar grausam.
    Anna wich zurück und hielt sich zitternd an ihrem Lesepult fest.
    »Ich bringe Euch Wein und Kuchen herauf, Herr. Dann lasse ich Euch alleine.«
    Horsel drückte sich an dem Mann vorbei aus dem Zimmer. Er trat näher und sagte: »Ich grüße dich, Anna. Tritt näher und lass dich ansehen.«
    Anna schüttelte nur ablehnend den Kopf und versuchte, hinter das Lesepult zu gelangen. Aber er ergriff ihre Hand und zog sie zu sich.
    »Du bist so jung, wie sie mir versprochen hat!«, meinte er nach ausgiebiger Musterung. »Sechzehn Lenze?« Anna schwieg und starrte dabei auf den goldenen Ringan seiner Hand. Der Stein, der ihn schmückte, schimmerte wie goldener Honig, und in ihm eingebettet erschien ein dunkleres Kreuz. Er war faszinierend.
    Horsel polterte noch einmal die Stiege empor, er ließ sie los und drehte sich um. Mit einer Karaffe, in der dunkler, roter Wein aufleuchtete, Gläsern und einem Korb süßen Gebäcks betrat sie die Kammer und stellte ihre Last auf dem Tisch neben den Kerzen ab.
    »Wenn Ihr noch einen Wunsch habt, ruft mich Herr. Ich bin unten zu finden.«
    Mit einem mahnenden Blick auf Anna zog sie dann die Tür hinter sich zu.
    Der Mann goss Wein in die Gläser und reichte eines davon dem Mädchen, das sich mit dem Rücken an die Wand neben dem Fenster drückte. Er versuchte nicht, sie noch einmal zu berühren, sondern sagte freundlich: »Trink, Anna. Es nimmt dir die Angst.«
    Mit einem verwunderten Blick nahm sie den Pokal und trank einen Schluck. Sie hatte eine andere Reaktion erwartet. Was genau, wusste sie nicht. Tierischer. Oder gewalttätiger. Vielleicht auch geschäftsmäßiger. Auf gar keinen Fall hatte sie erwartet, von ihm als Mensch wahrgenommen zu werden. Sie hatte es über sich ergehen lassen wollen, passiv, distanziert, ohne sich zu erlauben, ihre Gefühle dabei zu ergründen. Seine Geste hatte das zunichte gemacht, die brüchige Fassade der Selbstverleugnung mit einem Schlag zerstört und die wahre Anna hervortreten lassen. Und die war eben wissbegierig.
    »Warum siehst du mich so an?«
    »Ihr habt mich begutachtet, Herr, doch mir erlaubt Ihr diese Freiheit nicht? Wer seid Ihr?«
    »Das, Jungfer, werde ich dir nicht sagen. Es ist besser für dich, mich nicht zu kennen.«
    »Was verbergt Ihr?«
    »Nichts. Ich bin ein ganz normaler Mann. Keine Narben, keine Geschwüre. Es ist zu deinem Schutz, Mädchen, mich nicht zu kennen. Und nun setz dich endlich hin. Hier zu mir.«
    »Ich bleibe stehen, wenn es Euch genehm ist.«
    »Ist es nicht. Setz dich, Mädchen. Du brauchst nicht zu fürchten, dass ich über dich herfalle wie ein brunftiger Eber.«
    Er hatte sich auf der Bettkante niedergelassen und lehnte nun an einem der Pfosten am Fußende. Anna setzte sich so weit wie möglich von ihm entfernt.
    »Nein? Werdet Ihr das nicht?«
    »Nein. Wir werden ein wenig miteinander reden.

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