Der Bernsteinring: Roman
Damenstift in Köln.«
»Gibt es auch ein Bild von ihr?«
»Da ist es!«
Ich zog das entsprechende Blatt heraus und zeigte es Rose und Cilly. Abgebildet war eine Frau in einem roten, grün gefütterten Obergewand, das über ein goldgelbes Unterkleid aus gemustertem Stoff aufgesteckt war. Die langen Ärmel hatte sie ein wenig zurückgeschlagen, damit sie ihr bei ihrer Tätigkeit nicht im Weg waren. Sie zeigte sich in der klassischen Pose der Schreiberin, nämlich an einem Pult sitzend mit der Feder in der Hand. Ihre Haare waren weitgehend mit einem bestickten Netz bedeckt, das nur an den Schläfen die schwarzen Locken erkennen ließ. Ihr Gesicht, im Profil dargestellt, war über die Seiten gesenkt, die sie beschrieb und nicht sehr deutlich zu erkennen.
»Ich dachte, das war eine Stiftsdame. Wieso hat die dann so ein buntes Kleid an?«, wollte Cilly wissen.
»Stiftsdamen mussten nur zu den Stundengebeten die Kanonissenkleidung tragen, ansonsten war es ihnen freigestellt, auch weltliche Gewänder anzuziehen.«
»Mh. Sie sieht dir nicht ähnlich.«
»Warum sollte sie?«
»Na, ich dachte... Diese Geschichte aus der Römerzeit, die wir gerade beendet haben, die hört doch damit auf, dass Anna Denezia wiedergeboren wurde. Und von der hatten wir doch gesagt, sie entspräche dir, Anita.«
Cilly war diese erste Geschichte, die wir zusammengetragen hatten, so nahe gegangen, dass sie noch immer jedes Wort darin für bare Münze nahm.
»Cilly, meine Süße, den Schluss habe ich dazugedichtet,weil Julian an so etwas wie Wiedergeburt glaubte. Aber vergiss nicht, unser Vater kannte dieses Stundenbuch. Möglicherweise hat er Annik, die Anna Denezia aus der Bretagne, nur deswegen so benannt, weil es das Buch der Anna Dennes gab, um diese Verbindung herzustellen. Das ist dichterische Freiheit und kein Beweis.«
»Ich finde, du bist entsetzlich ernüchternd«, meinte Rose, aber sie lächelte dabei. Sie wusste, wir alle waren inzwischen ein bisschen unsicher geworden. Julian hatte uns ein absolut seltsames Vermächtnis gemacht.
»So, also, das ist die Autorin. Und was bedeutet das da drunter? Auch ein Bibelspruch?«
»Per omnia saecula saeculorum.«
»Aha!«
»Das ist der Schreiberspruch, sozusagen die persönliche Widmung, die die Autorin dem Buch mitgegeben hat. Er bedeutet: 'Von Ewigkeit zu Ewigkeit‹.«
»Wie sinnig.«
»Ja, in einem gewissen Zusammenhang ist das sogar sehr tiefsinnig.«
»Und was ist das hier?«
»Das Kapitelverzeichnis und die übliche Einleitung, das Praefatio. Aber sie ist etwas verkürzt. 'Vere dignum et iustum est, aequum et salutare, nos tibi semper et ubique gratias agere, Domine‹ schreibt sie. 'Es ist in Wahrheit würdig und recht, billig und heilsam, dass wir dir immer und überall Dank sagen, Herr.‹ Was fehlt, sind die Anreden 'heiliger Vater‹, 'allmächtiger Gott‹ und so weiter. Es folgt der Hinweis, in dem sie angibt, dieses Buch sei dem Ratsherren Hrabanus Valens gewidmet.«
»Ist das ungewöhnlich?« , wollte Rose wissen.
»Dieses ganze Buch ist leicht ungewöhnlich. Aber im Grunde gibt es keine festen Normen, was in einem Stundenbuch zu stehen hat. Es ist ein Kunstwerk, unddamit hat der Künstler gewisse Spielräume. Anna Dennes hat sie weit genutzt.«
»Inwieweit?«
»Das absolut Auffälligste ist die Verbindung, die sie geschaffen hat zwischen den sieben Gebetsstunden, den zugehörigen christlichen Symbolen und dem astrologischen Wissen ihrer Zeit. Die Astrologie bezieht sich mit ihren Planeten auf die alten römischen Götter, was den Vertretern der Kirche wohl nicht immer ganz recht sein konnte. Für einige haftete der Hauch von heidnischer Ketzerei daran.«
»Ist diese Anna Dennes etwa als Hexe verbrannt worden?«
Mir zog ein kalter Schauder über die Arme. Eine Erinnerung an Feuer...
»Ich weiß es nicht, Cilly. Es ist zumindest die Zeit, als der erste Hexenwahn entstand.«
»Und was haben die Bilder für eine Bedeutung?«
»Das ist ja das eigenartige an diesem Buch – Bilder und Texte stehen oft nicht in einem erkennbaren Zusammenhang.«
»Du hast dich sehr intensiv damit beschäftigt, scheint mir.«
»Ja, seit Julian es mir in die Hand gedrückt hat.« »Wann war das?«
»Vor zehn Jahren ungefähr.«
Zweifelnd sah mich Rose an, dann aber sah ich in ihrem Gesicht, wie ihre Gedanken Purzelbäume schlugen. Ich lehnte mich zurück.
»Anita?«, sagte sie nach einer ganzen Weile, in der auch Cilly nachdenklich geschwiegen hatte.
»Ja!«
»Anita, du hast
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