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Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Titel: Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Ray Pollock
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PROLOG
    An einem trüben Vormittag gegen Ende eines nassen Oktobers eilte Arvin Eugene Russell seinem Vater Willard am Rand einer Weide hinterher, von der aus man eine lange und felsige Senke namens Knockemstiff im südlichen Ohio überblicken konnte. Willard war groß und knochig, und Arvin musste sich anstrengen, um mithalten zu können. Die Weide war mit Dornengestrüpp und eingefallenen Sträuchern aus Sternmiere und Wildrose überwuchert, und der Bodennebel, der so dicht war wie die Wolken am Himmel, reichte dem Neunjährigen bis an die Knie. Nach ein paar Minuten bogen sie in den Wald ein und folgten einem schmalen Wildwechsel den Hügel hinunter, bis sie zu einem Baumstamm kamen, der auf einer kleinen Lichtung lag, Reste einer großen Roteiche, die vor vielen Jahren umgestürzt war. Ein verwittertes Kreuz aus Brettern von der Rückseite der baufälligen Scheune hinter ihrem Farmhaus neigte sich in dem weichen Untergrund ein paar Meter unterhalb von ihnen leicht nach Osten.
    Willard kniete sich auf der höher gelegenen Seite des Baumstammes hin und bedeutete seinem Sohn, es ihm gleichzutun, indem er auf die braunen, feuchten Blätter neben sich wies. Wenn ihm nicht gerade Whiskey durch die Adern floss, kam Willard jeden Morgen und jeden Abend zu dieser Lichtung und sprach mit Gott. Arvin wusste nicht, was schlimmer war, das Trinken oder das Beten. Solange er sich erinnern konnte, war sein Vater ohne Unterlass dem Handwerk des Teufels ausgeliefert gewesen. Arvin zitterte ein wenig in der Feuchtigkeit und zog seinen Mantel enger um sich. Am liebsten wäre er noch im Bett geblieben. Selbst die Schule mit all ihren Kümmernissen war immer noch besser als das hier, aber es war Samstag, und er konnte sich der Pflicht nicht entziehen.
    Durch die meist kahlen Bäume hinter dem Kreuz konnte Arvin eine halbe Meile entfernt Rauch aus ein paar Kaminen aufsteigen sehen. 1957 lebten etwa vierhundert Personen in Knockemstiff, und fast alle waren sie aufgrund irgendeines gottvergessenen Schicksalsschlags Blutsverwandte, ob nun aus Fleischeslust, Triebhaftigkeit oder simpler Unwissenheit. Zu den mit Teerpappe vernagelten Hütten und den aus Schlackebetonblöcken errichteten Häusern kamen noch zwei Kramläden, die
Church of Christ in Christian Union
und eine Kneipe, die in der ganzen Gemeinde als
Bull Pen
bekannt war. Die Russells hatten das Haus am oberen Ende der Mitchell Flats zwar bereits seit fünf Jahren gemietet, doch die meisten Nachbarn unterhalb von ihnen betrachteten sie noch immer als Außenstehende. Arvin war das einzige Kind im Schulbus, das nicht mit irgendeinem anderen Kind verwandt war. Vor drei Tagen war er mit einem blauen Auge nach Hause gekommen. »Ich halte nichts von Prügeleien nur zum Spaß, aber manchmal bist du ein wenig zu lax«, hatte Willard ihm am Abend gesagt. »Die Jungs sind ja vielleicht größer als du, aber wenn das nächste Mal einer mit diesem Mist anfängt, dann will ich, dass du es zu Ende bringst.« Willard hatte auf der Veranda gestanden und seine Arbeitskleidung abgelegt. Dann hatte er Arvin die braune Hose gereicht, die vor geronnenem Blut und Fett ganz hart war. Willard arbeitete in einem Schlachthof in Greenfield, und an jenem Tag waren sechshundert Schweine geschlachtet worden, ein neuer Rekord für
R.H. Carroll Meatpacking
. Der Junge wusste zwar noch nicht, was er werden wollte, wenn er groß war, doch er war sich ziemlich sicher, dass er keine Schweine schlachten wollte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
    Sie hatten gerade mit ihren Gebeten begonnen, als sie hinter sich das laute Knacken eines Zweiges hörten. Arvin wollte sich schon umdrehen, und obwohl Willard die Hand ausstreckte, um ihn daran zu hindern, sah der Junge kurz zwei Jäger, die im fahlen Licht dastanden, verdreckte, zerlumpte Kerle, die er schon ein paar Mal auf den Vordersitzen einer alten rostigen Limousine auf dem Parkplatz vor Maude Speakmans Laden hatte hocken sehen. Der eine trug einen braunen Jutesack, der am Boden voll leuchtend roter Flecken war. »Kümmer dich nicht um sie«, sagte Willard leise. »Das hier ist die Zeit des Herrn, von niemandem sonst.«
    Die Anwesenheit der Männer machte ihn nervös, doch Arvin kniete sich wieder richtig hin und schloss die Augen. Willard hielt diesen Baumstamm für so heilig wie jede von Menschenhand erbaute Kirche, und die letzte Person auf Erden, die der Junge beleidigen wollte, war sein Vater, auch wenn dies manchmal wie ein Kampf schien, der nicht zu

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