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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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»Weißt du nicht, dass jeder große Künstler, der wirklicher Demut fähig ist, seinem vollendetsten Werk einen absichtsvollen Fehler zufügt?«
    Es dauerte eine Weile, bis Dr. German darauf reagierte.
    »Du siehst verträumt aus, Anita«, sagte er ganz sanft. »Und dein Valerius hat Recht.« Er beugte sich etwas vor und strich mit der Fingerspitze über die dünne Linie von der Stirn zur Oberlippe. »Sie macht aus einem einfach nur schönen Gesicht eines, das eine Geschichte zu erzählen hat. Er wird dich suchen, denke ich. Ein solches Gesicht vergisst man nicht.«
    »Ich hoffe es. Sobald ich mich von der Operation erholt habe, werde auch ich anfangen zu suchen.«
    Ein wenig traurig sah er mich an.
    »Ich wünschte, ich wäre an seiner Stelle. Aber ich sehe schon, da ist nichts zu machen.«
    »Wir können Freunde sein, Carl. Ich bin froh, überhaupt mit jemandem darüber reden zu können.«
    Doch über alles andere, was mit Valerius in Verbindung stand, konnte ich mit ihm nicht reden. Das hätte selbst den wohlwollendsten Zuhörer an meinem Geisteszustand zweifeln lassen. Es gab nur zwei Menschen, die die ganze Wahrheit wussten – meine Halbschwester Rose und ihre kleine Schwester Cilly.
    Zu ihnen machte ich mich als Nächstes auf den Weg.
    Rose saß an der Werkbank und schliff ihr Zeichen in eine Reihe gläserner Objekte – eine winzige weiße Rose. Seit sie vor Weihnachten erstmals mit ihren eigenen Entwürfen an die Öffentlichkeit gegangen war, hatte sich ihre Auftragslage erstaunlich verändert. Zuvor hatte sie hauptsächlich Glasfenster restauriert oder nach Kundenvorgaben gearbeitet, jetzt nahm sie sich mehr Zeit für ihre künstlerische Gestaltung, und das Publikum dankte es ihr.
    »Hallo, Anita! Schon zurück? Hast du mit diesem Arzt gesprochen?«
    »Mit ihm und der Chefärztin. Die wollte mir gleich auch noch das Gesicht bügeln!«
    Rose sah mich kritisch an.
    »Nein, tu’s nicht.«
    »Danke. Zu dem Schluss ist Dr. Carl German auch gekommen. Aber darüber hat er sich leider in mich verliebt. Na ja, damit muss ich wohl leben.«
    »Ist das ein Wunder, Anita? Du strahlst seit ein paar Tagen so etwas aus, das derartige Ideen in Männern weckt.«
    Ich seufzte nur.
    »Wann ist der Termin?«
    »Fünfzehnter Januar, nächste Woche, Montag.« »Gut, bis dahin habe ich alle anstehenden Sachen erledigt und kann mich um dich kümmern.«
    »Hör mal, Rose, das ist nicht nötig. Ich komme schon alleine zurecht.«
    »Dessen bin ich mir sicher. Aber ich würde mich in einem solchen Fall gerne von meiner Schwester ein bisschen umsorgen lassen. Du wirst dich in den ersten Tagen wahrscheinlich ziemlich scheußlich fühlen.«
    »Das kann schon sein.«
    »Na also!«
    Sie kam auf mich zu, legte mir den Arm um die Taille und drückte mich an sich.
    Rose war einen halben Kopf kleiner als ich, hatte kurze, flauschige, blonde Locken, sanfte braune Augen und ein puppenhaft süßes Gesicht. Dass sie kühl und gelassen mit glühender Glasschmelze umgehen konnte, sah man ihr nicht auf den ersten Blick an. Ich kannte sie seit einem knappen halben Jahr, denn unser gemeinsamer Vater Julian hatte mir und meiner Mutter Uschi gewissenhaft ihre Existenz verschwiegen. Dann starb er so plötzlich, und aus seinem Testament erfuhren wir, dass da noch eine Tochter Rosewita lebte, die drei Tage nach mir auf die Welt gekommen war. Uschi hatte es nicht gut aufgenommen. Um es deutlich zu sagen – sie hatte einen hysterischen Anfall bekommen. Sie fühlte sich hintergangen und betrogen, und zusammen mit ihrer Trauer und dem Schock führte es dazu, dass sie mir an allem die Schuld zuwies. Das war zwar ungerecht, aber ich konnte sie verstehen. Dennoch war es eine sehr unbequeme Phase für mich, da ich ebenfalls noch angeschlagen und verwundet und durch den Verlust meines Vaters seelisch mitgenommen war. Trotzdem fand ichdie Tatsache, eine gleichaltrige Schwester zu haben überhaupt nicht schockierend. Ich machte mich, als ich einigermaßen wiederhergestellt war, auf den Weg, sie kennen zu lernen.
    Wir waren uns von Anfang an sympathisch.
    Und dann machten wir eine erstaunliche Entdeckung. Julian hatte sich auf seine manchmal wunderliche Art um uns beide gekümmert, ja, er hatte sogar uns beiden voneinander erzählt, allerdings in einer ganz besonderen Verpackung. Wir kamen dahinter, als ich den römischen Siegelring erhielt. Julian hatte ihn mir einen Tag vor seinem Tod zusammen mit einem Brief geschickt, den ich aus verschiedenen Gründen erst

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