Der beste Freund kann auch ein Mädchen sein
daß... „ beginnt sie und legt dann unwillkürlich ihre Hand auf den Mund. Ihre Stimme klingt so wunderlich und ein bißchen schaurig in der Stille der Nacht. Sie kauert sich dicht neben Jan und flüstert ihm ins Ohr: „Mama sagt, wir hätten Angst im Dunkeln, aber das stimmt gar nicht.“
Ihr Atem ist ganz warm an seinem Ohr und kitzelt ein bißchen, aber plötzlich streckt Stina erschrocken die Hand nach ihm aus, als der Wind im Gestrüpp raschelt. Ihr Kinn zittert etwas. Trotzdem ist sie eher neugierig als verängstigt und schlägt vor, daß sie sich draußen vor dem Garten umsehen sollten.
„Bloß ein bißchen“, sagt Stina.
Die Straßenbeleuchtung brennt, aber zwischen den Masten sind sehr große Abstände. Kein Mensch ist zu sehen, kein Fenster ist erhellt. Jan greift nach Stinas Hand — was bewegt sich da bei der Gartenhecke des Bäckers und läuft in den Mondschein hinaus? Oh, Tante Anna hat doch recht. Jan fürchtet sich; so sehr, daß er nicht schreien und nicht laufen kann.
Dieses Wesen ist zu groß, um eine Katze zu sein — es ist auch kein Hund, und es grunzt wie ein Schwein. Es hat einen graubraunen Pelz, einen weißen Kopf mit schwarzen Streifen und kleine, böse Augen. Furchtbar und gefährlich sieht dieses Tier aus! Jan schlingt die Arme um Stina, denn es kommt auf sie zu — bleibt plötzlich stehen — wendet sich blitzschnell um — und verschwindet.
„Aaaaach!“ sagt Stina und kümmert sich nicht darum, daß ihre Stimme hallt. „Warum hast du den Dachs verscheucht?“
Jetzt weiß Jan, wie ein Dachs aussieht. Im Sommer hat er schwimmen gelernt, aber Stina muß sich noch immer mit der großen Zehe auf dem Boden abstützen. Er läuft schneller als sie und kann sie besiegen, wenn sie miteinander ringen. Das hat er früher nicht geschafft. Sie kann weder lesen noch rechnen oder schreiben, und sie ist noch nicht sieben Jahre alt. Aber sie ist mutiger als Jan.
Jan hustet.
„Ich glaube, ich kriege wieder eine Erkältung“, sagt er. „Sollen wir nicht in unsere Hütte zurückgehen?“
Auch Stina hat eine Menge gelernt. Sie kennt jetzt ihren Vetter. Ihre Augen blitzen, aber sie lacht ihn nicht aus, sondern folgt ihm gehorsam zur Hütte.
Ein Weilchen später steht Tante Anna auf und späht zwischen den Gardinen in den Garten hinaus. Der Mond scheint auf das kleine Holzhaus; die Tür ist geschlossen.
„Sie schlafen genauso gut und ungestört wie in ihren Betten“, sagt sie zu Onkel David. „Ja, das sind eben Kinder!“
Der Sommer ist vorüber
Jan kniet im Auto und schaut durchs Rückfenster.
Stina, Tante Anna und Onkel David stehen vor dem roten Haus mit dem großen gelben Briefkasten und winken. Die Hunde sind angebunden; sie versuchen sich loszureißen und wollen Jan nachlaufen, so gern haben sie ihn. Nun biegt das Auto nach rechts ab; Jan setzt sich. Er sieht Stina nicht mehr, aber er stellt sich vor, wie sie herumläuft, die Nase in die Luft gestreckt, und keinen Ton sagt. So, wie sie es immer macht, wenn sie böse oder traurig ist.
Und Stina ist heute sehr traurig.
„Was hast du von dem Mädel bekommen?“ fragt Papa.
Jan gräbt in seiner Hosentasche und zieht eine Zündholzschachtel mit einer roten Schleife heraus. Die hat ihm Stina geschenkt. Er löst die Schleife und öffnet die Schachtel. Das Auto weicht gerade mit Schwung einer gestreiften Katze aus, die über die Straße saust, und der Inhalt landet auf Jans Knien: ein Häufchen Erde, ein Fliederblatt und zwei fette Regenwürmer. Mama stößt einen Schrei aus, Papa lacht.
„Das ist, weil ich keine Haustiere habe“, erklärt Jan. „Die hier machen keinen Lärm, und man braucht nicht mit ihnen spazierenzugehen.“
„Wo willst du sie hintun?“ fragt Mama.
„In deine Blumentöpfe“, antwortet Jan.
„Nein, herzlichen Dank!“ sagt Mama.
Papa überlegt ein bißchen. „Heute abend gehen wir in den Park, Jan“, schlägt er dann vor. „Wir lassen die Würmer in einem Blumenbeet frei. Dann weißt du, daß dort jemand ist, der bei Stina auf dem Land war, genau wie du.“
Mit Papa Spazierengehen, das ist fein. Besonders wenn es draußen dunkel und ein bißchen unheimlich ist. Und am schönsten ist es, dann wieder heimzukommen, in die warme und gemütliche Wohnung. Jan will die kleine Tischlampe mit dem roten Schirm anknipsen, die so schönes Licht macht. Er wird Mamas großen Stuhl vorziehen und ein Kissen hineinlegen, damit sie es bequem hat. Und dann soll sie ihm vorlesen.
Sie rollen den steilen Abhang
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