Der beste Freund kann auch ein Mädchen sein
Mädel?“ sagt sie.
„Möcht ich nicht“, erwidert Stina.
Tante Anna will weitersprechen, aber Jan wird ängstlich, kriecht unters Bett und zieht die Decke über den Kopf. Stina tut es ihm nach. Sie liegen ganz still da, während Tante Anna die Scherben aufhebt, den Boden trocknet und die Kissen wieder zurücklegt. Sie denkt, die beiden wären eingeschlafen, und schleicht auf Zehenspitzen hinaus.
Jan spielt, daß es Winter ist und daß er in seinem eigenen Bett liegt. Bald wird Mama an die Tür klopfen. Es ist Zeit, aufzustehen und sich für die Schule fertigzumachen. Aber die Schlafanzugjacke klebt ihm am Rücken, und es fällt ihm schwer, unter der Decke zu atmen. Da kann er nicht mehr so tun, als wäre jetzt kalter Winter.
Jan hebt die Decke ein bißchen und späht hinaus. Stina hat den Kopf noch immer eingewickelt, aber dort ist eine kleine Ritze. Jan sieht ein funkelndes blaues Auge und eine blonde Haarsträhne.
„Bist du böse?“ fragt er.
Stina antwortet: „Bin ich nicht.“
Eine Minute später ist sie in sein Bett gekrochen und legt sich ans Fußende. Ihre Zehen sind auf Jans Kopfkissen.
„Lies mir eine Geschichte vor“, bittet sie.
Jan liest, aber Stina hört nicht richtig zu. Sie kratzt mit den Zehen an seinem Arm.
„Einen großen Bruder hätt ich schon gern“, sagt sie.
Sie ist furchtbar kindisch, findet Jan, wenn sie glaubt, daß ein neugeborenes Kind ein großer Junge sein kann, der in die Schule geht. Andererseits gefällt es ihm aber auch, sie bei sich zu haben. Da braucht er nicht allein durch die Gegend zu stiefeln, und mit Stina langweilt er sich nie.
Jan läßt das Geschichtenbuch sinken. Nach einer Weile lugt Tante Anna durch den Türspalt. Die Kinder schlafen und sehen so unschuldig aus — keiner würde glauben, daß sie manchmal auch launisch sein können und sich streiten.
Die andere Überraschung
Die Treppe ist so steil geworden, und die Kinder sind recht wacklig auf den Beinen. Skrot und Skrutt hüpfen um die beiden herum und wollen sie ablecken. So froh sind sie darüber, daß Stina und Jan wieder wohlauf sind, daß sie sie beinahe umwerfen.
„Jetzt ist der Sommer schon zur Hälfte vorbei“, seufzt Tante Anna. „Und ihr seht so blaß und elend aus!“
Stina seufzt ebenfalls. „Wie sollen wir alles schaffen?“ Sie zählt an den Fingern ab, was sie noch tun wollen: „Schwimmen lernen, Beeren pflücken, in der Baumhütte wohnen, auf den See hinausrudern, mit Skrot und Skrutt spielen.“
Dabei nimmt sie immer mehrere Finger auf einmal, und so reichen ihre beiden Hände nicht aus. Diesmal stößt Jan einen Seufzer aus.
„Du zählst wie ein alter Schuh“, sagt er verächtlich.
Onkel David holt tief Atem und stößt die Luft wieder aus. Es klingt wie eine Lokomotive.
„Was ist los?“ fragt Tante Anna. „Tut dir etwas weh?“
„Nein, aber ihr kommt mir vor, als hättet ihr die Butter verkauft und das Geld verloren.“
„Die Butter verkauft?“ wiederholt Stina. „Das Geld verloren? Was heißt das?“
„Das ist ein Sprichwort“, erklärt ihr Vater.
„Ich habe aber keine Butter verkauft“, sagt sie dickköpfig.
Onkel David lacht und blinzelt Jan zu, und Jan blinzelt zurück. Nicht daß er genau verstehen würde, was der Onkel meint, aber Jan kann sich vorstellen, was dieses Zwinkern bedeutet: Wir Männer halten zusammen. Eigentlich schämt er sich ein bißchen. Es ist unangenehm, wenn Erwachsene Grimassen schneiden und sich über das lustig machen, was Kinder gesagt haben. Nur um Stina zu helfen, stellt sich Jan dumm. „Ich habe kein Geld verloren“, erklärt er.
Da wird noch mehr gelacht, und Stina lacht am lautesten. Der Onkel nimmt die beiden am Nacken und schüttelt sie ein bißchen. „Essen und frische Luft und viel Sonne braucht ihr“, sagt er. „Davon werden bleiche, müde Kinder wie neu.“
Jan kommt es vor, als hätte er zumindest neue Augen bekommen. Das entdeckt er, als Mama und Papa am Samstag abend eintreffen. Er sieht, daß auch Mama blaß ist und schmale Wangen hat. Sonst ist sie gar nicht dünn. Ihr Kleid spannt, ihr Bauch ist rund wie eine Kugel. Da hat er die zweite Überraschung! Gleich nach dem Abendessen läuft Jan davon. Das ist nicht wahr, das darf nicht wahr sein! Er will nicht mit Mama und Papa reden, er will einfach nicht hören, daß...
Wo soll er sich verstecken? Die Hütte im Baum geht nicht, da suchen sie ihn zuerst. Der Kahn mit der Piratenflagge ist auch nicht der richtige Platz. Wenn ein Kind verschwunden
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