Der beste Freund kann auch ein Mädchen sein
bringen sie ins Haus hinein bis zum Aufzug. Sie selbst laufen die Treppe hinauf.
Nachmittags spielen sie „Mensch ärgere dich nicht“. Jan läßt seine Mutter gewinnen, weil sie immer wieder verstohlen gähnt. Er findet das Spiel auch ziemlich langweilig, aber es ist so schön, mit Mama am Küchentisch zu sitzen.
Die Fenster stehen offen. Vor den Aschentonnen im Hof üben zwei Mädchen Seilspringen. Sie lachen und schreien dabei. Jan wartet darauf, daß die brummige alte Frau sie ausschimpft. In irgendeiner Wohnung spielt ein Radio mit voller Lautstärke, und in der Wohnung nebenan wird Speck gebraten. Der Geruch ist durchdringend, und Mama wird plötzlich genauso blaß wie Jan — ja, sogar noch blasser. Schnell schließt sie das Fenster.
„Martin hat einen kleinen Bruder, stimmts?“ fragt sie.
„Eine Schwester“, antwortet Jan. „Eine richtige kleine Heulsuse.“
„Mag er sie gern?“
„Hm, es geht“, murmelt Jan.
„Wünschst du dir denn nie ein Geschwisterchen?“ fragt Mama und vergißt ganz, daß sie jetzt eigentlich würfeln sollte.
„Nä!“ sagt Jan laut.
„Warum nicht?“
„Was sollten wir mit so einem Gör anfangen?“ antwortet er. „Überleg doch mal! Wo wir so eine kleine Wohnung haben! Soll ich vielleicht Kindermädchen spielen, während du im Laden arbeitest?“
Mama weiß bestimmt, daß sie ganz unmöglich ein Baby brauchen können, aber Jan fügt sicherheitshalber hinzu: „Und was würde die alte Meckerziege sagen? Sie klingelt doch dauernd und beschwert sich schon über mich. Dabei mache ich doch gar nicht so furchtbar viel Krach.“
Endlich erinnert sich Mama wieder daran, daß sie an der Reihe ist, weiterzuspielen. Sie würfelt eine Sechs und hat gewonnen. Dann hilft sie Jan, seine Schulbücher wegzuräumen. Er braucht sie ja jetzt ein paar Wochen lang nicht mehr.
Als sie fertig sind, legt sich Mama auf Jans Bett und tut so, als ob sie ein ganz kleines Kind wäre. Jan sitzt auf der Bettkante und spielt den Vater. Er liest ihr vor — ein langes Stück mit ganz schweren Wörtern. Damit beschäftigen sie sich, bis Papa nach Hause kommt.
Während Jan badet, holt Papa das Schiff, das sie gebaut haben, und läßt es in der Badewanne segeln.
„Als Kind war ich oft am Meer“ erzählt er. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schön es da ist, Jan.“
„Wir könnten doch in den Ferien zum Segeln gehen“, schlägt Jan vor.
„Heuer gibt es für Mama und mich keinen Sommerurlaub“, sagt Papa. „Wir brauchen im Herbst ein paar freie Tage. Aber du darfst den ganzen Sommer bei Stina auf dem Land verbringen.“
Das war also die eine der Überraschungen! Wie furchtbar! Jan kann gar nichts sagen und auch nicht weinen. Aber in seinem Innern sitzt ein Kloß. Und seine Kehle ist wie zugeschnürt.
„Ich weiß ja, daß du am liebsten bei uns zu Hause bleiben würdest“, tröstet ihn Papa leise. „Aber du kannst mir glauben, daß es dir ganz prima gefallen wird!“
Er hebt seinen Jungen aus der Badewanne und wickelt ihn in den Bademantel ein. Dann trägt er Jan ins Wohnzimmer, ohne sich darum zu kümmern, daß überall Wasser auf den Boden tropft. Die Vorhänge sind schon zugezogen, eine Lampe macht gemütliches Licht und Mama sitzt in ihrem großen Stuhl. Für Jan gibt es nichts Schöneres, als mit seinen Eltern allein zu sein.
Papa rauft ihm die frischgewaschenen Haare, daß es nur so spritzt.
Doch Jan bringt noch immer kein Wort hervor, obwohl er es versucht. Er strampelt, um freizukommen, und läuft wieder ins Badezimmer. Dort wird ihm schrecklich übel. Mama und Papa denken, er wäre krank; Jan aber weiß, daß er nur ganz furchtbar traurig ist.
Der Weihnachtsmann im Kirschbaum
In Papas schönem Auto fährt die Familie aufs Land. Das Auto ist groß und blau, und auf den Türen steht in weißen Buchstaben „Anderssons Lebensmittel“.
Mama und Papa reden so viel, daß Jan ganz müde davon wird. Er kuschelt sich auf dem Boden im Rückteil des Wagens zusammen, um sie nicht mehr hören zu müssen. Sie sprechen vom Land, über den Wald und vom Badestrand, von der Sonne und dem grünen Gras. Dabei gießt es draußen in Strömen. Die Scheibenwischer ticken wie die Küchenuhr zu Hause. Und Jan beginnt so heftig zu weinen, daß er einen Schluckauf bekommt. Er fängt die Tränen mit der Zungenspitze auf. Sie schmecken salzig. Aber er weint immer neue Tränen.
Papa hält an.
„Mein Kleiner“, sagt er, „ich verspreche dir, daß du in ein paar Tagen wieder froh
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