Der blaue Mond
Eingangsbereich zu dem aufwändig gearbeiteten schmiedeeisernen Treppengeländer.
Mit leuchtenden Augen sieht sie mich an. »Und der Typ ist siebzehn?«, fragt sie.
Ich gehe in Richtung Küche, ohne ihr eine Antwort zu geben, da sie bereits weiß, dass er siebzehn ist. Außerdem stehen für mich größere Dinge auf dem Spiel als die scheinbare Unvereinbarkeit von Wohnfläche und Einrichtung mit einem siebzehnjährigen Hauseigentümer, der weder Popstar noch Moderator einer angesagten Fernsehshow ist und dennoch dieses Haus besitzt.
»Hey, warte mal«, sagt sie, greift nach meinem Arm und hält mich fest. »Was ist oben?«
»Nichts.« Sowie ich es ausgesprochen habe, weiß ich, dass ich es vermasselt habe, indem ich viel zu schnell geantwortet habe, um glaubwürdig zu sein. Trotzdem hätte es mir gerade noch gefehlt, wenn Ava hier herumschnüffeln und in sein »besonderes« Zimmer hineinplatzen würde.
»Komm schon«, sagt sie und grinst wie ein aufsässiger Teenager, dessen Eltern übers Wochenende verreist sind. »Wann ist die Schule aus? Um zehn vor drei?«
Ich nicke kaum merklich, doch das genügt, um sie zu ermutigen.
»Und dann dauert es wie lang? Zehn Minuten Fahrzeit von dort aus?«
»Eher zwei.« Ich schüttele den Kopf. »Nein, vergiss es. Eher dreißig Sekunden. Du hast keine Ahnung, wie schnell Damen fährt.«
Sie wirft einen erneuten Blick auf die Uhr und sieht dann mich an. Ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. »Tja, damit bleibt uns doch mehr als genug Zeit, um uns kurz umzusehen, die Getränke auszutauschen und wieder zu verschwinden.«
Als ich sie ansehe, brüllt eine Stimme in meinem Kopf:
Sag nein! Sag nein! Sag. Einfach. Nein! Eine Stimme, auf die ich hören sollte.
Eine Stimme, die augenblicklich von ihrer übertönt wird, als sie sagt: »Komm schon, Ever. Schließlich krieg ich nicht jeden Tag die Chance, mir ein solches Haus anzusehen. Außerdem könnten wir ja etwas Nützliches finden - hast du dir das schon mal überlegt?«
Ich presse die Lippen aufeinander und nicke, als hätte ich Schmerzen. Widerwillig folge ich ihr, als sie davonrast wie ein aufgedrehtes Schulmädchen, das gleich das coole Zimmer ihres Schwarms sehen darf, obwohl sie doch mehr als zehn Jahre älter ist als ich. Schnurstracks steuert sie auf die erste Tür zu, die sie sieht und die zufälligerweise in sein Schlafzimmer führt. Als ich ihr folge, weiß ich nicht, ob ich eher erstaunt oder erleichtert bin, es genau so vorzufinden, wie ich es zuletzt gesehen habe.
Nur unordentlicher.
Viel unordentlicher.
Ich will überhaupt nicht darüber nachdenken, wie das passiert sein könnte.
Immerhin wurden - erfreulicherweise - weder die Bettwäsche noch die Möbel oder die Farbe an den Wänden verändert. Es sind immer noch dieselben Sachen, die ich ihm vor ein paar Wochen habe aussuchen helfen, nachdem ich mich geweigert habe, auch nur eine weitere Minute in diesem gruseligen Mausoleum zu verbringen, in dem er zu schlafen pflegte. Ich meine, zwischen all diesen verstaubten alten Erinnerungsstücken zu knutschen hat mich mit der Zeit ziemlich angewidert.
Ganz zu schweigen davon, dass theoretisch auch ich inzwischen eines dieser verstaubten alten Erinnerungsstücke bin.
Doch selbst nachdem die ganzen neuen Möbel an Ort und Stelle waren, war es mir immer noch lieber, wenn wir uns bei mir getroffen haben. Irgendwie kam es mir - ich weiß nicht - sicherer vor. Als würde mich das Risiko, dass Sabine jeden Moment nach Hause kommen könnte, davor bewahren, etwas zu tun, wozu ich noch nicht bereit war. Was mir jetzt, nach allem, was passiert ist, nur umso lächerlicher vorkommt.
»Wow, sieh dir nur sein Badezimmer an«, sagt Ava und mustert die römische Dusche mit den Mosaikfliesen und genügend Duschköpfen für zwanzig Leute. »An so ein Ambiente könnte ich mich gewöhnen!« Sie hockt sich auf den Rand des Whirlpools und spielt mit den Hähnen. »So einen habe ich mir immer gewünscht! Hast du ihn schon mal benutzt?«
Ich sehe weg, aber nicht so schnell, dass ihr die Röte entgeht, die mir in die Wangen steigt. Ich meine, nur weil ich ihr ein paar Geheimnisse verraten und sie hierher mitgenommen habe, heißt das nicht, dass sie unbegrenzten Zugang zu meinem Privatleben hat.
»Ich habe auch einen zu Hause«, sage ich schließlich, in der Hoffnung, dass das reicht, damit wir diese Besichtigung beenden und weitermachen können. Ich muss wieder nach unten, damit ich Damens Elixier gegen meines austauschen kann.
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