Violett ist erst der Anfang
KAPITEL 1
Eins, zwei, drei – stechender Kopfschmerz bis zum Hirnstamm, aber schön, wie lautete das Motto in ihrem Business? Gute Laune, the show must go on . Mit vorgetäuschtem Elan stieß Jule Schweitzer die Tür auf und federte Grübchen lächelnd ins sterile Besprechungszimmer.
Tja, der Auftritt war für die Tonne, da war nur Ewa Bogacz.
Ihre Kollegin, erstarrt wie Bambi im Autoscheinwerfer. »Ach, du bist es.« Ohne ein weiteres Wort tigerte sie weiter Kreise durch den Raum und kaute ihren rechten Daumen zu Matsch.
»Ist die Presse noch nicht da?«, fragte Jule. »Es hieß, Interview nach Drehschluss, 18 Uhr, und jetzt haben wir exakt … also, ich bin pünktlich.«
»Mandy holt den Typen gerade am Empfang ab und bringt ihn zu uns hoch.«
Na dann. Jule pustete eine dunkle Strähne aus der Stirn, ließ sich auf einen Stuhl gleiten und überkreuzte die Beine. Warten. Mandy managte die Set-PR. Sie war so dürr und helle wie ein Streichholz und quasselte jedes Geschöpf ohne Gnade ins Nirwana. Das konnte dauern. Immerhin, wenigstens der Tisch war präpariert. Jule goss stilles Wasser in ein Glas und nippte daran. Ihre Kollegin? Zerwuschelte sich ihre eigenwilligen Kurzhaarfransen, nahm neben ihr Platz und rutschte rum als hockte sie auf Juckpulver. Vom Keksteller griff sie sich gleich drei Schokodinger und stopfte sie in den Mund.
»Sag bloß, du bist wegen diesem Pillepallepups nervös?«
»Ehrlipf gesagpft schfon«, kam es krümelprustend zurück. »Mich hat bisher noch niemand interviewt.«
»Tatsächlich? Aber ich dachte, du kommst vom Film?«
Ewa strahlte. »Stimmt auch. Direkt nach dem Schauspielstudium in Warschau ging die Dreherei los. Und glaub mir, die drei Kurzfilme waren absolut genial, rein künstlerisch gesehen.«
Alles klar, Herzchen. Fünf Zeilen Text, zehn Sekunden Screentime und die restliche Minute rockt hochtrabend ein Sonnenuntergang, richtig? »Dann vertrau meiner Erfahrung, Ewa. Interviews sind immer derselbe Rotz. Was treibste hier, wo kommste her, wo willste hin.«
»Klingt eher nach Fahrkartenkontrolle.«
»Genau. Journalisten fragen jedes Mal das Gleiche. Weil die keine Ahnung von dir haben, verstehst du? Die googlen dich höchstens und lesen kurz die Infos bei Wikipedia.«
»Da bin ich nicht. Nur bei Facebook.«
»Oh. Dann pass auf, erste Interview-Regel: lächeln, lächeln, lächeln.« Jule demonstrierte das Dauerlächeln und zeigte Grübchen. »Zweite Regel: blablabla. Lob das Team, schwärm eine Runde von der Rolle und fertig.«
»Das reicht?« Ewa klang überrascht.
»Na sicher. Wir drehen hier eine Daily Soap, keinen Blockbuster und … ach, lächel einfach.«
Ewa atmete auf und vernichtete noch einen Keks. Dann übte sie los. »Ich heiße Ewa Bogacz, bin 26. Meine Eltern kommen aus Polen, ich nicht, ich komm von hier. Bei Liebes Leben spiele ich seit der ersten Folge Viola Geiger. Die ist schüchtern, kellnert im Café Butterblume , wird bald Sängerin und hat sich verliebt in … Mensch Jule, wie tiefschürfend müssen wir unsere Rollen eigentlich beschreiben?«
Jule lachte. »Falls du da irgendwo Tiefe findest, hau raus.«
»Ich meine, wissen die da draußen, was bei uns abläuft?«
»Ausgeschlossen bei den Quoten. Aber Soap ist Soap. Kennst du eine, kennst du alle.«
Bis zum Schluss hatte Jule gehofft, dass es anders wäre. Damals hatte ihre Rolle auch noch spannend geklungen. Ein neues Gesicht, frischer Wind in der Handlung: Alena Schönfeld, glücklich liiert mit dem smarten Marc, beruflich Leiterin einer aufstrebenden Tanzschule, die sich zur Musical-Akademie mauserte. Täglich Gesang, neue Choreografien, hach, das passte. Dann nur leider nicht mehr ins Konzept. Alles wurde umgeschrieben. Nun war Jule eine verwöhnte Göre mit einem reichen Daddy, jobbte als renitente Praktikantin in seiner Werbeagentur, trug knallbunte Leggins, kokste heimlich und war bi. Babett Brockhoff. Außen Barbie, innen Bitch. Alter, und dafür habe ich studiert.
Ewa zwirbelte an den Kapuzenkordeln ihrer dunkelblauen Sweatjacke herum. »Was dürfen wir über unsere Storyline überhaupt erzählen?«
»Die da draußen müssten schätzungsweise bei Folge 117 sein.«
»Perfekt.« Ewas Miene hellte sich auf. »Also hab ich den Kaffee schon über deine Lieblingsleggins geschusselt und bin verschossen. In dich, zack-peng, Liebe auf den ersten Blick. Nur raff ich das erst, als wir beide beim Flaschendrehen in der WG betrunken rumknutschen müssen und …«
»Das lief auch schon,
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