Der Blaumilchkanal
AUF MOSES' SPUREN
Wie fast alles im Leben fußt auch mein neues Buch auf einem Mißverständnis. Es ist nämlich kein Jubiläumsbuch, sondern eine Alterserscheinung und wurde von der taktlosen Bemerkung einer jungen Journalistin inspiriert, die von meinem »biblischen« Alter berichtete. Als ob ich ein paar tausend Jahre auf dem Buckel hätte. Eine Frechheit, besser gesagt eine echte »Chuzpe«, wie sich der Autor der Bibel heute ausdrücken wurde.
Ein Körnchen Wahrheit steckt jedoch darin. Als Schriftsteller, der die meisten seiner unzähligen Bücher von rechts nach links geschrieben hat, und als verlorener Sohn, der ins Land seiner Väter zurückgekehrt ist, bin ich mit der Bibel viel enger verbunden, als es auf den ersten Blick aussieht.
In meinem jungen Staat hat man manchmal den Eindruck, auf einer archäologischen Baustelle zu leben, wo man auf Schritt und Tritt über Funde aus biblischer Zeit stolpert. Der Kibbuz Kfar-Hachoresch zum Beispiel, in dem ich Mitglied war, liegt auf einem Hügel oberhalb von Nazareth. Jeden Montag bin ich dort mit meinen scheppernden Milchkannen den Spuren Jesu gefolgt, und mein steiler Weg zur hebräischen Sprache führte über Golgatha ins Jerusalemer Seminar. Auch das Haus, das ich heute bewohne, liegt nur einen Katzensprung von Jaffa entfernt, wo der Prophet Jonas den nächsten Walfisch nach Tharsus genommen hat.
So unwahrscheinlich es klingt, sogar mein Name stammt aus der Bibel. Kishon heißt der biblische Fluß, in dem Jahve die feindlichen Kampfwagen des Feldherrn Sisera versenkte. Und damit nicht genug, drückte doch die Prophetin Debora ausgerechnet auf dem Berg Ephraim den jüdischen Kämpfern die Daumen.
Ich habe also in der Bibel manche Spur hinterlassen und schreibe auch in der Sprache der Bibel, was manchmal zu Mißverständnissen führt. Ein junger »Stern«-Reporter, der vor einigen Jahren ein Interview mit mir machte, das dann nur 20 Seiten entfernt von Adolfs erster Tagebuchfortsetzung erschien, stellte mir damals die kuriose Frage: »Wie kommt es, Herr Kishon, daß Sie hebräisch schreiben und doch nicht annähernd die Auflage der Bibel erreichen?« Ich antwortete ihm ehrlich: »Der liebe Gott hat eben die bessere Presse.«
Ja, die Bibel ist ein Medienliebling, ein Publikumshit, obwohl das Alte und das Neue Testament trotz des Generationenunterschiedes ihrer Verfasser oft miteinander verwechselt werden. Unter uns gesagt, keiner kennt heutzutage die Heilige Schrift wirklich. Sie ist in unserer hektischen Konsumgesellschaft vor allem ein volkstümlicher Begriff zwischen Joseph Beuys und Aste-rix. Man weiß gerade noch, daß die Bibel etwas mit dem lieben Gott zu tun hat, aber das ist zumeist auch alles. Aber bis heute läßt sich jede Diskussion kinderleicht mit dem Hinweis abwürgen: »Verzeihung, meine Gnädigste, aber das steht bereits in der Bibel.« Und was tut Gott? Es steht wirklich da.
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Die Bibel ist ein einmaliges, ein wunderbares Werk, wenn sie auch ganz anders ist, als man sie sich gemeinhin vorstellt. Über ihr Entstehen wissen wir weniger als über die Geheimnisse der Pyramiden. Ihre Vielseitigkeit aber übersteigt das menschliche Fassungsvermögen. Vision, Geschichte, Poesie, Krimi, Moral, Ethik, Gesellschaftskolumne und Porno liegen hier dicht beieinander. Alles das ist die Bibel, nur heilig ist sie selten. Und dennoch sollte man sie nicht nur ungefähr kennen, sondern so genau wie eine Telefonnummer, Ziffer für Ziffer. Die kompakte hebräische Sprache erlaubt nämlich keine Ungenauigkeiten, und schon ein einziger Druckfehler in der Bibel kann einen Gläubigen völlig aus der Fassung bringen.
Kein Wunder also, daß in der jährlichen Jerusalemer Bibelkonkurrenz die Teilnehmer um die »längste Stecknadel« wetteifern. Ein perfekter Bibelkenner zeichnet sich nämlich durch die Fähigkeit aus, seine Nadel durch die Seiten der Heiligen Schrift zu stechen und zu erraten, aufweicher Seite welcher heilige Buchstabe getroffen wurde.
Diese Meisterschaft fand ich ein wenig lebensfremd und schlug vor, zusätzlich jährliche Telefonbuch Wettbewerbe zu organisieren. Das Oberrabbinat rügte mich dafür heftig.
Wer aber hebräisch schreiben möchte, kommt um das Alte Testament nicht herum, da es, abgesehen von den aramäisch verfaßten Büchern Ezra und Daniel, die Urquelle des Hebräischen ist. Und ich bin stolz darauf, daß auch der himmlische Vater und sein Sohn miteinander in meiner Sprache sprechen.
Die Gegenläufigkeit der hebräischen
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