Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Vorwort
Es besteht kein Mangel an Büchern über den Untergang des alten Dresden. Weshalb also jetzt noch ein weiteres? In meiner letzten Publikation, dem »Echolot 1945«, der »Fuga furiosa«, habe ich bereits alles erreichbare Material über die schrecklichen Ereignisse vom Februar 1945 ausgebreitet. Ich stellte es in einen größeren Zusammenhang und versuchte damit deutlich zu machen, was mit dem Satz »Wer Wind sät, wird Sturm ernten« gemeint ist. Und nun noch einmal Dresden?
Ich habe das alte Dresden gekannt, 1944 habe ich es vom »Weißen Hirsch« aus liegen sehen, als Norddeutscher etwas verwundert über die höfische Pracht. Ich war noch einmal kurz nach der Februar-Katastrophe dort und später, als man bereits die Reste der alten Stadt abzuräumen begann. Und wieder stand ich drüben am anderen Ufer, und es stellte sich ganz von selbst die Frage: Wie konnte das geschehen? Ein solches Maß an Zerstörung läßt sich doch nicht abtun mit einem Hinweis auf Ursache und Wirkung, oder etwa mit dem Achselzucken so mancher Nachkriegsdeutscher: Selber schuld...
Der Wiederaufbau der Frauenkirche, dieses Unterfangen eines von Liebe durchdrungenen Trotzes der Bürger. Wer Augenzeuge wird der Sorgfalt, mit der er vorgenommen wird, der umsichtigen Organisation, mitder Vernichtetes ersetzt, Aufbewahrtes an die rechte Stelle gerückt wird, ist bewegt von dem heilsamen Aufbruch, durch den das für immer verloren Geglaubte neu entsteht.
Auch die Rekonstruktion von etwas Vernichtetem gehört in den Sinnzusammenhang jenes oben zitierten Wortes: »Wer Wind sät, wird Sturm ernten.« Denn jeder Wiederaufbau ist eine Reaktion auf die Aussaat des Windes. Man könnte es mit dem Wort des jungen Goethe ausdrücken, das Böse betreffend, das eben doch letzten Endes das Gute provoziert.
Noch ein weiteres Buch über die Hölle von Dresden – ja, und es wird nicht das letzte sein, denn von einem Jahrzehnt zum anderen wird sich unser Gedenken in neue Zusammenhänge gesetzt sehen.
Und: Wir hören nicht auf uns zu wundern über die Gewissenlosigkeit einzelner, die auf rote Knöpfe drücken, und über den Mut und die Tatkraft der anderen, die immer wieder alles aufräumen müssen.
Walter Kempowski
Carl Gustav Carus 1789–1869
Dresden 1814
Einer meiner gewöhnlichen Abendspaziergänge war damals der über die dicht vor meiner Wohnung beginnende schöne Brühlsche Terrasse, und wie eigen dort, wo man damals noch meist sehr einsam sich befand, oft die Witterung und Lichteffekte mich innerlich bewegten, davon gibt vielleicht folgende Briefstelle deutlichere Kunde, indem sie zugleich den poetischen Reflex zur vollsten Anschauung bringt, welchen dergleichen größere und mir so neue Szenerien auf mein inneres Leben damals werfen konnten: Ich komme eben von einem Spaziergange im Brühlschen Garten in später Dämmerung. Der Himmel war gleichförmig grau; kleinflockigen Schnee trieb der Nordwind über die glatte Terrasse. Die Elbe verlor sich aufwärts und abwärts im Nebelgrau; die gewaltige Kuppel der Frauenkirche ragte als dunkler Schatten über die niedrigen Häuser, und die Brücke erschien mir wie ein Trauerband über den schönen Strom gelegt, als Zeichen seiner baldigen Erstarrung. Das Eigentümlichste aber war die Vorbereitung zu dieser Erstarrung selbst: es war der Fluß nämlich bedeckt mit tausend und tausend langsam forttreibenden, dünnen Eisschollen, gleichsam weißen Inseln, welche im langsamen Bewegen fortwährend zusammenstießen und seltsam aneinander klirrten. Es war höchst anziehend, zu sehen, wie aus dem Nebel die Massen hervorschwammen, näher kamen, mit dem eigenen monotonen Geräusch vorüberzogen und endlich hinter dem dunklen Bande der Brücke verschwanden. Es war mir, als blickte ich auf den Strom der Zeiten, sähe unzählige Geschlechteraus dunklen Quellen hervortreten, vorüberrauschen und verschwinden. Ich dachte an vieles dabei! Das Ernste des Schauspiels wurde noch gehoben dadurch, daß alle kleinen Schiffchen und Kähnlein dem erstarrenden Strome ausgewichen waren und er so ganz sich selbst überlassen erschien, ein großes einsames Bild periodisch erlöschenden Lebens.
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Dienstag, 13. Februar 1945
FASTNACHT
Berlin/Reichskanzlei Dr. Theodor Morell 1886–1948
13.35 Uhr mittags: Traubenzucker und Betabion forte i.v. – Führer ist etwas eigenartig zu mir, kurz und in verärgerter Stimmung.
Berlin Adolf Hitler 1889–1945
Politisches Testament
Es ist
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