Der Blaumilchkanal
Goldstein abermals das Wort. »Ich finde diesen Auszug aus Ägypten einfach idiotisch. Ich frage mich, was habe ich, Pinky Goldstein, ein Ägypter israelitischen Religionsbekenntnisses, hier in der Wüste zu suchen? Ist es mir vielleicht schlecht gegangen in Ägypten? Warum bin ich nicht dort geblieben?«
»Weil du ein Dummkopf bist, Pinky. Darum.« Es war Gloria, Pinkys rotblonde Sekretärin, die sich einmischte, während sie ihre Augenbrauen mit grünem Kalkstaub färbte. »Wie oft habe ich dir gesagt: Pinky, du bist ein Intellektueller, die Aufseher haben Vertrauen zu dir, weil sie sehen, daß du nicht zu dem übrigen Gesindel gehörst. Du hättest deine Stellung glatt behalten können. Aber nein, nach Kanaan muß er gehen.«
»Liebling«, protestierte Pinky Goldstein. »Liebling, du tust ja gerade so, als ob ich unbedingt hätte gehen wollen. Habe ich Moses nicht immer wieder gebeten, uns gefälligst in Ruhe zu lassen, weil wir den Ägyptern gerne dienen? Es hat nichts genützt. Und daß die Situation auf die Dauer unhaltbar wurde, weißt du so gut wie ich. Schließlich und endlich hat Pharao befohlen, unsere Erstgeborenen zu töten.«
»Mach dich nicht lächerlich. Jeder vernünftige Mensch weiß, daß dieser Befehl niemals ausgeführt worden wäre.«
»Aber Liebling, der Nil war ja schon voll mit toten hebräischen Kindern.«
»Nicht in unserer Gegend. Und überhaupt hat das alles erst angefangen, als Moses sich bei Pharao unbeliebt machte. Bis dahin wurde uns kein Haar gekrümmt.«
Die Spieler hatten ihre Karten hingelegt.
»Man mußte hart arbeiten in Ägypten, das stimmt«,
ergänzte Jochanan. »Aber die Arbeit wurde auch geschätzt. Man lebte im Schweiße seines Angesichts. Nicht so wie hier, wo diese Nahrung vom Himmel fällt. Das hat's zu Hause nicht gegeben. Und wenn ich die vorgeschriebene Anzahl von Ziegeln ablieferte, wurde ich niemals länger geschlagen als nötig.«
»Na, na, na. Einmal hat man Sie doch beinahe totgeprügelt.«
»So schlimm war's gar nicht. Ganz abgesehen davon, daß der Aufseher nur seine Pflicht tat, denn ich hatte schließlich Pharaos Namen ausgesprochen. Muß man denn Pharaos Namen aussprechen? Man muß wirklich nicht. Das nenne ich Disziplin.«
»Pharao war streng, aber gerecht«, bekräftigte Pinky Goldstein. »Wer ehrlich arbeitete und den Mund hielt, dem geschah nichts.«
»Ganz unter uns«, sagte Jochanan. »Wir hätten auf Pharao hören sollen, als er uns nicht gehen lassen wollte. Er wußte, was von Moses' Propagandaquatsch zu halten war. Jetzt hocken wir hier und sterben wie die Fliegen.«
Ein Windstoß riß einen der Vorhänge auf und wirbelte heißen Wüstensand ins Zelt. Dr. Salomon schleuderte sein Trinkhorn in die Ecke und spuckte angewidert aus.
»Zum Teufel mit diesem lauwarmen Gesöff. In Go-shen hat man keine Wunder gebraucht, um Wasser zu bekommen. Gutes Trinkwasser. Und überhaupt. Wäre ich doch nur wieder in meiner geschmackvoll eingerichteten Zweizimmerhöhle ...«
Gloria kämmte ihr Haar.
»Seit dem letzten Wunder sind schon wieder Wochen vergangen«, sagte sie schnippisch.
»Das Unglück ist«, meinte Dr. Salomon, »daß Moses lieber auf Jethro hört, seinen nichtjüdischen Schwiegervater, als auf unsere Fachleute. Was ist das Resultat? Ein Kastensystem mit lauter Obersten und Hauptleuten und solchem Zeug. Aber dafür werden keine Zinsen mehr eingetrieben. Wie will er unter solchen Umständen das Budget ausgleichen? Oder nehmen wir dieses blödsinnige neue Sklavengesetz. Wer wird denn noch investieren, wenn man die Sklaven alle sieben Jahre freilassen muß?«
»Angeblich plant Aaron ein neues Goldbesteuerungssystem«, flüsterte Pinky. »Das gibt uns den Rest.«
»Was Moses oben auf dem Berg wohl erreicht hat«, brummte Dr. Salomon.
Jochanan kratzte sich am Kinn, seine Stimme klang verschwörerisch:
»Stellen wir Radio Kairo ein«, sagte er. »Es kursieren Gerüchte, daß man uns die Rückreise ermöglichen will. Ich weiß allerdings noch nichts Konkretes. Pharao soll auf der Tötung unserer Erstgeborenen bestehen, verspricht uns aber im übrigen humane Behandlung, geregelte Arbeit und gesicherte Verpflegung. Moses müßte natürlich ausgeliefert werden...« Die Männer steckten ihre Köpfe zusammen. Und genau in diesem Augenblick geschah es, daß Moses vom Herrn die steinernen Tafeln mit den Zehn Geboten empfing.
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Die Schwierigkeiten mit dem Ersten Gebot begannen, als der ehrgeizige Mensch vergaß,
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