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Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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ist unwichtig. Mit der Zeit werden wir das schon überwinden. Warum verlangt ihr keinen Strom, mein Freund?«
    »Wir verlangen«, erwiderte der Barbier und seifte den Staatsmann mit schnellen Pinselstrichen ein.
    »Wann habt ihr verlangt, wenn ich fragen darf?«
    »Jedes Jahr, seit den letzten fünfundzwanzig Jahren.«
    »Und?«
    »Es wird erwogen.«
    »Jetzt geht nicht herum und verurteilt die Regierung, Genossen!«
    Hier erhob Dulnikker die Stimme und ignorierte den Schaum, der ihm in den Mund geriet. »Die Regierung unternimmt die höchsten Anstrengungen in allem, was die Entwicklung der unterentwickelten Gebiete betrifft. Natürlich ist hier weder die Zeit noch der Ort, die Frage zu prüfen, aber ich werde versuchen, euch die wahre Situation sehr kurzgefaßt zu erklären. Nun, die Frage ist die: Was hat Vorrang, die Entwicklung des Industriepotentials oder die Bedürfnisse der Bevölkerung? Mich dünkt - beides!«
    »Fertig«, sagte der Barbier und wischte dem Staatsmann das Gesicht ab.
    »Schön«, sagte Dulnikker, »dann Haarschneiden auch. Also, wie ich gesagt habe ...«
    »Tut mir leid, mein Herr, dazu habe ich keine Zeit.«
    Als der Staatsmann den Barbierladen verlassen hatte - ohne Haarschnitt -, verfiel der Laden wieder in seine vorherige Stille. Die Bauern saßen auf den Bänken und rauchten friedlich ihre Pfeife.
    »Wer ist das?« fragte ein neugieriger Bursche nach einer Weile, und man sagte ihm: »Er wohnt im Wirtshaus, kein Mensch weiß, warum.«
    »Ist mit Koffern gekommen«, unterbrach der Schächter eine Sekunde lang sein Beten.
    »Es heißt, er ist irgendein Schauspieler«, bemerkte jemand. »Er deklamiert Gedichte.«
    »Er ist krank«, meinte der Schächter, »und der Junge pflegt ihn.«
    In dem Punkt waren sie alle einer Meinung.
    »Sein Krankenwärter schläft in meinem Haus«, informierte sie der Schuhflicker. »Er erzählte meiner Tochter, daß der Alte ein großer Politiker oder so ist.«
    »Politiker-oder-so?« staunten sie. »Warum?«
    Etwas Grundlegendes war da nicht klar.
    »Was ist eigentlich«, fragte endlich jemand, »ein Politikeroder-so?«
    »Ein Mensch«, meinte der Barbier, »der Befehle gibt. Fast wie ein Ingenieur.«
    »Bestimmt besitzt er Grund und Boden.«
    »Ich kenne die Art«, sagte der Schuhflicker. »Sie verpachten ihren Boden, dann gehen sie hin und lassen sich’s gut gehen.«
    »Jedenfalls«, bemerkte der Schächter, »hoffe ich, er fährt bald heim. Er ist lästig.«
    »Stimmt«, versicherten die Versammelten, »er ist lästig.«
    Dulnikker überquerte die Straße mit jener eisernen Entschlossenheit, die alle seine schicksalhaften Entschlüsse begleitete, und platzte ohne anzuklopfen in das Haus des Schuhflickers. Bei seinem Eintritt traf er den Sekretär in einer Ecke des Wohnzimmers mitten in einem höchst persönlichen Zwiegespräch mit einer jungen Blonden an. Das Auftauchen des Staatsmannes ließ zwischen den beiden jungen Leuten eine kleine Lücke entstehen. Der Sekretär setzte hastig wieder seine Brille auf, aber die Blonde mit dem Babygesicht starrte Zev weiter an, als sei er ein junger Gott in Person. Das befriedigte Lächeln auf ihren Lippen erregte aus irgendeinem Grund die Wut des Staatsmannes. Mit einer energischen Geste winkte er seinen Sekretär heran.
    »Zev«, flüsterte er ihm zu, »ich bin nicht bereit, auch nur einen Tag länger in diesem Sauloch zu verbringen, wo selbst die Friseure taubstumm sind! Von mir aus kannst du ja dableiben, wenn du willst. Falls du aber Lust hast mitzukommen, pack sofort deine Sachen, mein Freund. Morgen früh fahren wir!«
    »Meine Sachen sind bereits gepackt!« Zev lachte herzlich, und ohne die düster dreinblickende junge Dame zu beachten, eilte er mit Dulnikker zum Wirtshaus.
    »Das Dorf hat ein entsetzlich niedriges politisches Niveau«, erklärte der Staatsmann die Faktoren seines Entschlusses. »Mit vierzig Jahren Intellektualität, Programmerstellung und Funktionärsleben hinter mir kann man mich nicht zwingen, meine unschätzbare Zeit mitten in einem Haufen ungebildeter Nullen zu verbringen! In diesem Loch gibt’s ja nicht einmal Strom, geschweige denn eine einzige Zeitung!«
    »Endlich!« Zev seufzte erleichtert auf. »Morgen nachmittag werde ich für uns Zimmer in irgendeinem schicken Schweizer Hotel reservieren.«
    »Einverstanden«, erklärte Dulnikker, »aber sei nicht überrascht, mein Freund, wenn ich in Zukunft in Sachen Ferien und Genesungsurlaub deinen Rat nicht mehr beachte.«
    Der Sekretär

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