Der Blaumilchkanal
ein Bett gemacht hatte. Dann fiel ihm freilich ein, daß Gula genau das Abend für Abend seit Dutzenden von Jahren machte. Schließlich fuhr ihm die idiotische Vorstellung durch den Kopf, daß seine Frau ein Mann sei. Aus irgendeinem Grund versuchte er ein Bild heraufzubeschwören, wie Gula vor ihrer Ehe ausgesehen hatte, und entdeckte, daß er sich eine völlig Fremde vorstellte.
»Ich danke Ihnen aus Herzensgrund, Madame.«
»Nennen Sie mich Malka.«
Wieder erschien das gleiche alberne Lächeln in Dulnikkers Gesicht. Er bedeckte das Knie mit der rechten Hand, weil dort ein ziemlich großes Stück Stoff fehlte.
»Elifas ist ein reißendes Tier«, versicherte ihm die Frau. »Ich schlage vor, Sie lügen ihn an und sagen, Sie seien irrtümlich in mein Zimmer gekommen.«
Nachdem die Frau gegangen war, ging der Staatsmann wieder schlafen, und als ihn die Sonne weckte, war er allein im Zimmer. Trotz seiner immer schlimmer werdenden Schmerzen stand Dulnikker auf und wusch sich hastig in der Tonschüssel, die der Wirt für ihn besorgt hatte. Dann ging er wieder ins Bett, um stumm zu leiden. Das Auftauchen von Elifas unterbrach seine seltsamen Gedanken.
»Ich wollte Ihnen wirklich nicht weh tun, mein Herr«, entschuldigte sich der dicke Mann, als er ängstlich das zerschundene, bös zugerichtete Gesicht seines Opfers betrachtete. »Ich bin vielleicht ein bißchen hitzig, wo es um meine Frau geht.«
»Meine Herren«, erwiderte Dulnikker, »seien Sie versichert, daß ich Ihr Zimmer irrtümlich betrat, weil ich es irrtümlich für das meine hielt.«
Nein, das war nicht überzeugend! Der Staatsmann spürte, daß das alles schrecklich falsch klang. >Was kann ich tun?< sagte er sich. >Ich kann eben nicht lügen! Ich bin zu ehrlich.< Also beeilte er sich, den Wirt zu fragen, wie es seinem Sekretär gehe.
»He, Kinder«, rief Elifas aus dem Fenster, »ist der Krankenwärter des Herrn schon da?«
»Er ist nicht mein Krankenwärter«, verbesserte ihn Dulnikker. »Er ist mein Privatsekretär.«
»Ihr Sekretär?« fragte Elifas verständnislos. »Was meinen Sie mit >Sekretär« »Wollen Sie jetzt bitte einen Arzt rufen.« Dulnikker schloß müde die Augen. Elifas richtete ihm emsig die Kopfkissen und ging auf Fußspitzen hinaus. Sofort schlichen die Zwillinge herein und begannen ihr Ritual des Anstarrens. Dulnikker beschloß, die Provokation zu ignorieren und so zu tun, als schliefe er. Bald hörte er zwei Kinderstimmen:
»Er heißt Dulnikker.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Der Papa sagt, er ist fast ein Ingenieur.«
»Wann ingenieurt er?«
»Wenn er redet.«
Das Gehirn des Staatsmannes arbeitete auf vollen Touren, aber er war nicht imstande, sich aus dem Gespräch etwas zusammenzureimen. Zu seiner großen Erleichterung verscheuchte Zev die Kleinen, als er eintrat. Er trug ein mit Leckerbissen beladenes Tablett, das er vor Dulnikker hinsetzte.
»Empfehlungen von Frau Malka«, berichtete er. »Aber Sie sehen ja wie ein Wrack aus, Dulnikker! Sind Sie wirklich die Treppe heruntergefallen?«
Der Staatsmann empfand einen seltsamen flüchtigen Wunsch, seinen Sekretär zu empören und zu verblüffen. Er zog Zev dicht an sich heran:
»Ich kehrte etwas deprimiert heim, als ich heute nacht zurückkam«, flüsterte er schalkhaft. »Kurz gesagt, ich ging in Malkas Zimmer.«
»Ich verstehe«, reagierte der Sekretär sofort. »Sie haben sich im Zimmer geirrt, Dulnikker.«
»Der Schmerz ist unerträglich«, stöhnte der leidende Staatsmann. »Ich wußte ja gleich, daß das so enden würde. Ich hoffe nur, daß uns der Wächter nicht erkannt hat.«
»Ich glaube, schon.«
»Guter Gott!« sagte Dulnikker aufs äußerste beunruhigt. »Wir müssen sofort ein Dementi veröffentlichen. Wieso glaubst du das?«
»Nun ja, er brachte heute morgen drei Tauben in die Küche, Dulnikker, damit Sie nicht gehen und sie bei Nacht stehlen müssen .«
Im Zimmer herrschte Stille, nur durch das Schmatzen von Dulnikkers Lippen und das Malmen seiner Backenzähne unterbrochen.
»Seien wir objektiv«, meinte der Staatsmann nach einer nachdenklichen Weile. »So wie die Dinge stehen, war es sehr nett vom Wächter, mir ein so hübsches Geschenk zu bringen. Außerdem mußt du zugeben, daß die Dorfbewohner größtenteils wohlmeinende Juden sind, die - herrschte nicht die Finsternis des Mittelalters in ihnen -, glaube ich, eine solide, ordentliche Gesellschaft in diesem Waldwinkel schaffen könnten .«
»Hauptsache«, bemerkte Zev, Gefahr witternd,
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