Kein Sex ist auch keine Loesung
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|7| 1.
«Also, wollen Sie nun, oder wollen Sie nicht?»
Hilfesuchend blicke ich noch einmal in die Runde meiner Freunde. So viel Zeit muss sein. Nadja, die unter einem rosafarbenen
Hut fast gänzlich verschwindet, beißt sich auf die Unterlippe und senkt den Kopf. Alles, was man jetzt noch von ihr sieht,
ist ein überdimensionierter Obstkorb und eine Schleife, etwa so groß wie LACK, der Beistelltisch von Ikea. Ich bin mir nicht
sicher, was sie mir damit sagen will, und lasse deshalb meine Augen weiter nach links wandern zu Luke, der neben Nadja sitzt.
Er tut seine Meinung dadurch kund, dass er sich symbolisch mit der flachen Hand die Kehle durchtrennt.
Ich werte das als ‹Nein›, schaue aber vorsichtshalber noch ein bisschen weiter nach links, wo Vince abwägend den Kopf hin
und her schaukelt, als wäre er in Bordeaux bei der Weinprobe und nicht in einer Kirche, mitten in Hamburg. Auf der Hochzeit
seines besten Freundes. Meiner Hochzeit.
«Könnten Sie die Frage vielleicht noch einmal wiederholen?», wende ich mich übertrieben freundlich dem Pastor zu, der meinen
schlappen Versuch, Zeit zu gewinnen, mit einem genervten Blick gen Himmel straft.
Aufmunternd zwinkere ich Maren zu, die unter einem geschätzten Zentner Tüll von einem Bein aufs andere schwankt und langsam
etwas sauertöpfisch dreinblickt.
|8| Ich kann das in gewisser Weise auch verstehen. Sie leidet unter stressbedingtem Pustelausschlag, was vermutlich in wenigen
Sekunden für alle sichtbar werden wird. Vielleicht ahnt der Pastor etwas, denn er meldet sich jetzt energisch noch einmal
zu Wort.
«Willst du, Tom Moreno, die hier anwesende Maren Constanze Mikkelsen zu deiner angetrauten Ehefrau nehmen? Sie beschützen
und beschenken, mit ihr die Abende zu Hause vor dem Fernseher verbringen, von nun an keinen Alkohol mehr trinken, deine Freunde
vernachlässigen und nach dem ersten Kind nie wieder Sex haben? Willst du ab sofort deinen Urlaub nur noch im ClubMed auf Lanzarote
verbringen, auf ein Reihenhaus am Stadtrand sparen und die Schwiegermutter bei euch wohnen lassen? Willst du deine Frau lieben
und verwöhnen, auch wenn sie fett und …»
«Naaeiiin!» Ich schreie, so laut ich kann. Direkt in das verstörte Gesicht des Pastors. «Nein! Nein, das will ich ganz sicher
nicht!»
«Bärchen, was ist denn mit dir?»
Etwas berührt mich an der Schulter. Etwas, das aussieht, als wäre es aus der Requisite von Boris Karloffs Gruselklassiker
Die Mumie
entwischt. Vorsichtshalber schreie ich nochmal. Die Mumie wischt sich mit der flachen Hand über das Gesicht, greift kurz entschlossen
nach der Bettdecke und presst mir damit den Mund zu.
«Es ist Samstag früh, halb acht. Würdest du dich bitte zusammenreißen und nicht so einen Krach machen?», zischt mich die Gesalbte
genervt an.
Langsam erahne ich hinter der Cremeschicht das im |9| Kneipenlicht noch recht ansehnlich gewesene Gesicht meiner abendlichen Eroberung. Zugegeben, an viel erinnere ich mich nicht
mehr. Außer vielleicht noch an ihren Namen: Tina. Nein, Nina. Oder so ähnlich. Das liegt aber nicht, wie man vielleicht annehmen
könnte, an einer narkotisierenden Menge Bier, sondern vielmehr daran, dass diese Frau mich bei lebendigem Leib ins Koma gequatscht
hat. Zum Glück muss ihr irgendwann mein ermatteter Zustand zu langweilig geworden sein, denn – und daran erinnere ich mich
jetzt wieder ganz gut – plötzlich ging sie dazu über, mir unter dem Tisch zu demonstrieren, dass sie mit ihrem Mund nicht
nur labern kann. Und Männer lassen sich nun mal am besten durch Taten überzeugen.
«Ich muss wohl etwas Schlimmes geträumt haben», versuche ich wieder Herr der Lage zu werden. Schlimm ist gar kein Ausdruck.
Genau genommen lässt sich die eigene Hochzeit getrost als Albtraum Nummer drei im Leben eines normal gearteten Mannes bezeichnen.
Lediglich zu übertreffen von Albtraum Nummer zwei: Abstieg des heimischen Fußballclubs in die Zweitliga, und Albtraum Nummer
eins: Dreißig Tage keinen Sex. Dreißig Tage und mehr natürlich.
Da allein der Gedanke daran schon Entzugserscheinungen in mir auslöst, fange ich sogleich an, unter Ninas (oder doch Tinas?)
Nachthemd herumzufummeln. Ihr eingecremter Anblick ist allerdings in etwa so sexy wie der eines verendenden, ölverschmierten
Seevogels, und so drehe ich sie kurzerhand auf den Bauch und presse mich von hinten an sie ran.
Nina-Tina reckt sich mir kichernd
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