Der blinde Hellseher
Tarzan ihm
ins Wort. „Jemand... äh... also, Suzanne war’s. Sie hat heimlich in seinem
Mantel nachgesehen, als der in der Garderobe hing. Da war ein Schreiben vom
Finanzamt drin, adressiert an Otto Biersack. So heißt er wahrscheinlich.“
Herr Glockner lächelte. „Falls
du nach dem Abitur nicht weißt, für welchen Beruf du dich entscheiden sollst,
Tarzan — ein schlechter Polizist wärst du nicht.“
Tarzan wurde rot vor Freude.
Daß Gaby eine Schnute zog, fiel ihm im Moment gar nicht auf. Er hätte sich auch
nicht erklären können, weshalb sie so reagierte. Aber Gaby hatte es nun mal
nicht gern, wenn Tarzan sich zu lange und zu ausführlich mit anderen Mädchen
unterhielt. Eingestehen wollte sie das nicht. Aber ein bißchen eifersüchtig war
sie schon. Besonders auf diese Suzanne, die bereits 16 war, ziemlich hübsch und
französisch charmant. Für ein halbes Jahr arbeitete sie bei den Krauses als
Au-pair-Mädchen — das heißt: Sie half im Haushalt, erhielt dafür Kost, Logis
und ein kleines Taschengeld. Wie alle Au-pair-Mädchen wollte sie natürlich in
erster Linie Land und Leute kennenlernen und ihre Sprachkenntnisse verbessern.
Lob hilft. Meistens jedenfalls.
Es beflügelt den Mut und den Ehrgeiz — und auch die Gedanken. Wie jetzt bei
Tarzan.
„Mann!“ platzte er los. „Da fällt
mir ein... Ich weiß noch einen... Der ist viel verdächtiger!“
Kommissar Glockner hatte sein
Notizbuch zugeklappt und weggesteckt. Jetzt holte er es wieder hervor.
Tarzan legte den gestreckten
Zeigefinger an die Nase. „Natürlich! Die Mafia könnte dahinterstecken.“
„Wie bitte?“
„Mario Frasketti“, sagte
Tarzan.
„Wer ist das?“
„Ihm gehört das italienische
Restaurant in der Sedan Straße. Die TRATTORIA. Ist ziemlich billig. Pizza
gibt’s schon für drei Mark. Wir sind manchmal dort. Volker ist Stammgast. Allerdings…“
„Ja?“
„Er hat auch oft Wein
getrunken.“
„Viel?“
„Ich weiß nicht. Einmal schon.
Da war er so hinüber, daß ich ihn nach Hause bringen mußte. Ich kam zufällig
vorbei. Er stand am Eingang und... jedenfalls hat er sich übergeben. Mario kam
raus und hat ihm einen Tritt versetzt. Volker flog fast hin. Mich hat er kaum
erkannt.“
„Schlimm!“ sagte Herr Glockner.
„Ein Junge in dem Alter! Laßt um Himmels willen die Finger vom Alkohol! Er
würde eure Entwicklung hemmen. Er macht krank und süchtig.“
„Wir rühren keinen Tropfen an“,
sagte Tarzan empört. „Sport ist uns wichtiger.“
„Ich weiß. Aber wieso kommst du
auf diesen Mario?“
„Weil ich das Gespräch
belauscht habe. Zufällig.“
„Ach. Wann war denn das?“
„Vor... ich glaube, vor zwei
Wochen... ja, genau. Suzanne hatte Volker und mich gebeten, mitzukommen. Sie
wollte bei Mario Eis essen. Leider hatte ich kein Geld mehr, aber Volker kriegt
ja Geld, soviel er will, und er hat mich eingeladen. Wir saßen an dem Tisch
neben dem Eingang. Rechts. Dort ist auch die Theke. Mario war dahinter. Er
redete mit einem Typ, der auf einem Hocker saß, Kaffee trank — ja, das weiß ich
noch, weil ihm die Tasse runterfiel — und eine Zigarette nach der anderen
paffte. Ich glaube, ich würde ihn wiedererkennen. Es war auch ein Italiener.
Mario schuldete ihm offenbar Geld. Der andere war ziemlich eklig. Ich hörte,
wie Mario sinngemäß sagte: Das Geld werde ich beschaffen. Die ganze Summe. Ihr
braucht nicht mehr lange zu warten.“
„Tarzan, du bist Gold wert“,
sagte Herr Glockner. „Mitarbeiter wie dich brauchte die Polizei öfter.“
„Ist reiner Zufall“, wehrte
Tarzan ab. „Gaby, Karl und Willi können es nicht wissen. Sie waren nicht
dabei.“
Kommissar Glockner stand auf
und verabschiedete sich. Als er gegangen war, sagte Gaby: „Ich glaube nicht,
daß ich mich mit dieser Suzanne anfreunden könnte. Ich finde sie affig.“
„Och“, meinte Tarzan. „Sie ist
eigentlich ganz nett. In ihrem Alter interessiert man sich eben für Mode.“
„Wahrscheinlich kann sie ganz
prima Deutsch. Aber sie findet es schick, wenn sie ,isch’ statt ich und
,Miiinüt’ statt Minute sagt. Sie denkt, das wirkt.“
Tarzan nickte. In Gedanken war
er längst mit etwas anderem beschäftigt. Während die drei redeten, brütete er
vor sich hin. Schließlich hob er den Kopf.
„Ich glaube, wir müssen
abstimmen“, sagte er.
„Worüber?“ wollte Karl wissen.
„Ich bin dafür“, sagte
Klößchen.
„Ich kann mir schon denken, was
du vorhast!“ Gaby hob ihre langen Wimpern, daß sie fast
Weitere Kostenlose Bücher