Der blinde Hellseher
eine beachtliche Höhe.“
„Platsch!“ sagte Klößchen.
„Habt ihr’s gehört? Er kam hart auf dem Pflaster auf, drehte eine Judo-Rolle
vorwärts, ist unverletzt — und jetzt sehe ich ihn. Mit siebeneinhalb Sprüngen
überquert er die Fahrbahn. Um Haaresbreite weicht er einem Mofa aus. Jetzt
strebt er dem Bernhardiner dort zu.“
„Das ist ein Neufundländer“,
sagte Gaby. „Du solltest dir mal ein bebildertes Hundebuch besorgen. Oder eine
Brille.“
„Brille braucht er nicht“,
meinte Tarzan. „Wer auf 20 Meter Entfernung einen Floh erkennt, leidet nicht
unter Sehschwäche.“
Er schloß das Fenster.
„Seht euch das an!“ Tarzan
deutete auf Oskar.
Der lag an derselben Stelle wie
eben, reckte erwartungsvoll die Pfoten und wedelte wie wild.
„Au wei!“ sagte Klößchen. „Der
findet das schön. Wahrscheinlich besorgt er sich jetzt regelmäßig Flöhe. Nur
damit wir an ihm rumsuchen.“
Trotz intensiver Nachforschung
— der zweite Floh wurde nicht entdeckt.
„Der hat sich in Sicherheit
gebracht.“ Nachdenklich kratzte Klößchen sich an der Hüfte, dann unter der
Achsel.
Tarzan sah ihn mißtrauisch an.
„Wenn du dich noch öfter kratzt, Willi, schläfst du heute nach auf dem Flur.“
„Wie? Meinst du etwa...“
Klößchen blickte entsetzt. „Um Himmels willen! Ungeziefer! Das wäre ja
schrecklich!“
„Für den Notfall habe ich ein
Flohpulver“, tröstete Gaby. „Das gebe ich dir mit. Es ist allerdings nur für
Hunde. Nach Gebrauch dürfen sie eine Woche nicht gebadet werden.“
Tarzan verdrehte die Augen.
„Bist du des Teufels, Gaby! Willi pennt in meiner Bude. Das Pulver kommt nicht
in Frage. Besser ist, wir entflohen ihn. Willi, leg dich hin! Jetzt kommt’s
umgekehrt. Oskar übernimmt Bauch und Hinterteil.“
Die drei lachten so laut, daß
sie das Klingeln überhörten. Aber dann flitzte Oskar jaulend zur Tür. Das
machte die drei aufmerksam.
Es war Karl Vierstein, der
vierte im Bunde.
Er hatte seine Sporttasche mit
dem Badezeug dabei und war vom schnellen Radeln ziemlich außer Atem. Als er
hörte, daß es heute mit dem Schwimmen nichts wurde, grinste er zufrieden.
Wasserscheu war er zwar nicht, aber versessen aufs Schwimmen nun auch nicht
gerade. Vielleicht wegen seiner miserablen Wasserlage. Er war nämlich
lattendürr. Außerdem schlacksig. Er hatte sehr lange Arme; und ein gehässiger
Mensch hatte mal behauptet, Karl könne sich — aufrecht stehend — in den
Kniekehlen kratzen. Aber das war übertrieben.
Karl trug eine Nickelbrille,
die sein Windhundgesicht noch spitzer machte. Immer wenn er aufgeregt war, nahm
er die Bille ab und polierte sie: mit dem Taschentuch, dem Hemdzipfel, dem Rand
der Tischdecke oder was gerade erreichbar war.
Karl hatte den Spitznamen
,Computer’. Weil er ein unglaubliches Gedächtnis besaß. Wenn er wollte, merkte
er sich einfach alles — sogar nebensächlichste Einzelheiten.
Ist vererbt, meinten seine
Mitschüler, denn Karls Vater war Mathematik-Professor an der hiesigen
Universität.
„Geh’ nicht so nah an Willi
ran“, sagte Gaby spitzbübisch. „Er hat einen Floh.“
„Das ist besser als einen
kleinen Mann im Ohr“, sagte Karl, „jedoch nicht unproblematisch. Im übrigen,
Gaby, ist deine Bezeichnung Floh sehr allgemein. Wenn ich mich recht
entsinne...“
„Jetzt kommt’s“, stöhnte
Tarzan. Alle wußten: Wenn Karl seinen wissenschaftlichen Anfall kriegte, mußte
er loswerden, was in seinem Superhirn gespeichert war — über das betreffende
Gebiet. Dann redete er geschraubt, daß man’s kaum aushalten konnte. Allerdings
— danach war er wieder völlig normal und zu jedem Streich zu gebrauchen.
„Bitte, Ruhe auf den billigen
Plätzen“, sagte Karl. „Unangemessene Zwischenrufe verzögern meine Ausführungen.
Bei den Flöhen also, den sogenannten Suctoria, handelt es sich um Lebewesen aus
der Insektenordnung, Flöhe parasitieren (schmarotzen) blutsaugend auf Vögeln
und Säugetieren und sind gefürchtet als Krankheitsüberträger. Die bis zu fünf
Millimeter langen Flöhe sind flügellos, seitlich zusammengedrückt und haben
auffallend lange Hinterbeine, die sogenannten Sprungbeine. Die Verbreitung des
Menschenflohs, des Pulex irritans, nimmt mit der Verbesserung der hygienischen
Verhältnisse ständig ab. Der Katzen-, Hunde- oder Rattenfloh jedoch ist
Pestüberträger und kann auch Menschen befallen. Früher wurde ihnen mit dem zur
Insektenbekämpfung verwendeten Kontaktgift DDT Einhalt geboten. Aber seit
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