Aus Vadims Sicht (Du + Ich = Wir Zwei)
Scheiße. Was macht sie hier?!
Ist das ein Scherz? Versteckte Kamera?
Sie hat sich nicht verändert. Wenn, dann nur sehr wenig. Ihre großen, grünen Augen starren mich eindringlich an. Bereits dieser Kontakt reicht, damit es mir den Magen umdreht. Sie hat kürzere Haare als früher und ihr Teint ist blass. Ich wende meinen Blick ab und hoffe, dass sie das eher als Gleichgültigkeit als als Schwäche versteht. Vor zwölf Jahren war Vadim Arcadi ziemlich bescheuert und hat sich reinlegen lassen. Vadim King wird nicht denselben Fehler machen.
Sie hat mich verdorben …
Es ist nicht einmal eine Minute her, dass ich sie wiedergefunden habe, und schon leide ich unter einer Persönlichkeitsspaltung.
Ich bin der Boss, der Vorstandsvorsitzende von King Productions, und ich bin geschäftlich hier. Nur geschäftlich. Es zählt nicht, dass sie nur wenige Meter vor mir sitzt und mich völlig durcheinanderbringt. Einen kühlen Kopf bewahren, mich nicht von ihrer Anwesenheit, ihrer Anziehungskraft, ihrem schmalen und zarten Gesicht, ihrem Körper, der in diesem maßgeschneiderten und eleganten Kleid eingeschlossen ist, umbringen lassen. Alma Lancaster ist kein kleines Kind mehr. Das sehe ich mit eigenen Augen. Sie ist gefährlicher denn je.
Ich habe den Eindruck, auf einem Schulhof gelandet zu sein. Die Angestellten sahen, dass ich den Raum betrat, aber keiner von ihnen hat sich bewegt. Sie haben alle zu flüstern angefangen, aber nicht einer von ihnen ist zu mir hergekommen und hat mir die Hand gereicht. Sie sind mit ihrem Arsch auf ihrem Stuhl sitzen geblieben und haben sich wie Zuschauer verhalten. Ich kann mir das nur so erklären, dass das in Frankreich so üblich ist. In den USA hätte ich bereits ein Dutzend Hände geschüttelt und ein „Wie geht es Ihnen?“ gehört.
Wie geht es ihr? Das ist das Einzige, das mich interessiert …
Scheiße! Ich bin ergriffen …
Ich tue mein Möglichstes, um sie nicht ansehen zu müssen. Ich konzentriere mich auf die anderen Gesichter, die mich nicht inspirieren, die mir nur ein wenig sympathisch sind. Joseph Wilson, der Direktor, ergreift schließlich die Initiative. Es war an der Zeit. Er räuspert sich und wendet sich den Leuten zu.
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Ehre, Ihnen den Gründer und Vorstandsvorsitzenden der King Productions vorstellen zu dürfen: Herrn Vadim King. In den nächsten Monaten wird er uns zur Seite stehen, um das Tochterunternehmen France hier in Paris anzukurbeln. Ich danke Ihnen, dass Sie ihm den freundlichen Empfang bereiten, den er verdient …“
Er übertreibt ein wenig …
Der Applaus ertönt. Ich weiß nicht, ob er an mich gerichtet ist oder noch an Wilson. Eine Notsituation und seine Kompetenzen haben ihm zu dieser Stelle verholfen, aber ich kann ihn nicht leiden. Joseph ist ein falscher Fuffziger, da bin ich mir sicher. Er gehört zu den Typen, die ein überdimensionales Ego haben, aber kein Problem damit haben, sich bei einem einzuschleimen, um dann dessen Achtung zu gewinnen. Er hat nichts verstanden. Ich mag keine Blutsauger, Heuchler, Menschen, die ihre Eltern gegen ganz gleich welche Belohnung verkaufen würden. Im Moment wird er wohl der Richtige für diesen Job sein müssen, aber ich werde ihn im Auge behalten …
Ich ergreife das Wort – und versuche dabei, mein Französisch zu pflegen. Sie meidet meinen Blick. Ich spreche die Themen, Strategien, Ziele und Aktionspläne an. Sie kritzelt in ihrem Notizbuch herum, hebt selten den Kopf. Trotz all meiner Bemühungen, die Erinnerungen zu verdrängen, kommen sie hoch. Ich sehe wieder die Vorzeigestudentin vor mir, die mich so sehr ärgerte und so viele Intrigen sponn, die mich abwies und zutiefst anzog. Das kleine, verwöhnte Mädchen reicher Eltern, das aufs Wort den Befehlen eines konservativen und engstirnigen Patriarchen gehorchte. Sie war die Erste in der Klasse, die wie gebannt an den Lippen der Professoren hing und zwar so sehr, dass sie vergaß, auf ihr Herz zu hören. Das kleine Mädchen der High Society, das in jeder Hinsicht ihre Freiheit zugunsten der sogenannten Moral und der guten Manieren opferte. Sie ist immer noch da .Vor meinen Augen. Zwölf Jahre später.
Das glaube ich jedenfalls, bis Wilson wieder das Wort ergreift, um meine Argumente zu untermauern. Meine Stimme verstummt. Alma hingegen sagt endlich etwas. Die Stimme, die ich all die Jahre lang zu hören geträumt habe. Jetzt senke ich den Blick und drehe mich um, um mich nicht zu verraten, um
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