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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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aus blindem Hass absichtlich dort einsperrte. Oder der Ort wurde einfach vergessen. Solche Dinge gab es. Wenn der Junge sich auf eine übermenschliche Weise wünschte, nicht gefunden zu werden, dann konnte die Tür, hinter der er sich verbarg, praktisch unsichtbar werden.
    Und dann? Der Junge würde verhungern und sterben.
    Oder anfangen, sich von etwas anderem zu ernähren.
    Solche Fälle waren enorm selten, doch Margarete konnte sich an Artikel in alten Büchern erinnern, in denen etwas Ähnliches beschrieben war. Manche Menschen verfügten über eine Lebenskraft, die über die Gesetze der Natur hinausging. Leben aus Fleisch und Blut brauchte stoffliche Nahrung – und selbst hier gab es Ausnahmen, wie die Geschichten mancher Asketen bewiesen. Doch wenn das Leben auf eine gänzlich andere Ebene wechselte, dann änderte sich auch die Nahrung.
    Es gab Wesen, die sich von Emotionen ernährten, und dann meist von Angst, denn sie war die stärkste aller Gefühle (auch wenn die Autoren von Liebesromanen eine andere These vertraten). Man nannte eine solche Kreatur ein Schreckgespenst, einen Butzemann oder den Schwarzen Mann. Die Engländer sprachen vom bogeyman und die Franzosen vom croque-mitaine . Diese Wesen wollten nicht töten, sie wollten nur Angst machen, denn die Angst der Menschen erhielt sie am Leben.
    Max hatte einen Menschen getötet, indem er ihn erschreckte. Das gab die Richtung seiner Verwandlung vor – er veränderte sich, aber gleichzeitig blieb er, was er war: jemand, der andere erschreckte. Er zeigte sich einzelnen Kindern, nährte sich von der Furcht, die Sandra und die anderen davor ihm schenkten. Er brauchte nicht viel. Ein kleiner Happen ab und zu reichte ihm.
    Aber warum hatte er Dennis attackiert? Was war mit ihm geschehen, seit Sandra das Amulett auf ihn geschleudert hatte? Warum hatte er das Bärenfell abgelegt? Warum wagte er sich jetzt an Erwachsene heran, wo er sie doch fast zwanzig Jahre lang gemieden hatte?
    „Es gibt noch eine viel wichtigere Frage“, murmelte Margarete geistesabwesend vor sich hin und vergaß, dass sie all die anderen Gedanken nicht laut ausgesprochen hatte. „Nämlich – warum ist er nicht hier, in seinem Versteck? Wo ist das Schreckgespenst jetzt?“

11
    Irgendwie bekamen sie den Lehrer dazu, ihnen bei ihrer verrückten Suche zu helfen. Sie liefen das gesamte Schulhaus ab, und zwar zweimal. Beim ersten Mal konzentrierten sie sich auf die kleineren Räume, die Bibliothek, die Toiletten, den Computerraum, Abstellkammern – alle Zimmer, in denen sich möglicherweise ein Mensch alleine aufhielt. Sandra und die anderen Kinder waren stets alleine gewesen, wenn der Buhmann sich ihnen näherte. Auch Dennis hatte sich alleine in dem Zimmer aufgehalten, als das Ungeheuer auf ihn losging. Margarete schloss daraus, dass das Wesen sich von Gruppen fernhielt.
    Dass diese Theorie falsch war, begann sie zu ahnen, als sie nicht fündig wurden. In einem zweiten Durchgang nahmen sie sich die Klassenzimmer vor. Die meisten davon waren jetzt, am Nachmittag, leer, doch in einigen fand noch Unterricht statt.
    In einem Raum im Erdgeschoss fanden sie, was sie gesucht hatten.
    Als Heidelinde Reich anklopfte, erhielt sie zunächst keine Antwort. Dann rief die Stimme eines Lehrers: „Kommen Sie nicht herein!“
    Das Signal für Margarete, die Tür aufzustoßen.
    Eine Klasse von Acht- oder Neunjährigen scharte sich in einer Ecke des Klassenzimmers. Ein junger, kleingewachsener Lehrer mit einem blonden Lockenkopf hatte sich schützend vor die Kinder gestellt, doch auf seinem Gesicht war zu lesen, dass auch er sich Schutz wünschte.
    In der Zimmermitte stand ein Wesen, das an Hässlichkeit alles übertraf, was Margarete bisher gesehen hatte. Es war ein über zwei Meter großer, spindeldürrer Leib, mumifiziert, mit ledriger, fast schwarzer Haut. Es war ständig in Bewegung, schien beinahe zu schlottern, und als es den mit fauliger Haut überzogenen Totenschädel in ihre Richtung drehte, sah Margarete, dass es die Kiefer hastig öffnete und schloss, beinahe, als würde es mit den Zähnen klappern. Einige seiner Bewegungen waren so schnell, dass seine Konturen zu bräunlichem Nebel zu verschwimmen schienen, dann wieder wirkte es träge und schwerfällig und schien sich nur mit großer Mühe vom Fleck bewegen zu können. Die raubtierhaften Augen in den Augenhöhlen flackerten unstet.
    So also sah es aus. Dieses Geschöpf hatte unter dem Bärenfell gesteckt.
    Margarete näherte sich ihm, und es

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