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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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nicht nur wunderschön, sie sehen auch eine ganze Menge.«
    Sie zwinkerte ihrer Freundin verschwörerisch zu. Animaya bekam einen Schreck.
    Â»Wenn du die Reiter von heute Morgen meinst, behalte es für dich! Du willst doch nicht dein Leben aufs Spiel setzen!«, antwortete sie scharf. »Auch ich habe die Gefangene gesehen. Aber meine Lippen sind versiegelt. Tupac weiß, was für sein Volk das Beste ist!«
    Pillpa lachte spöttisch auf. »Und ich weiß, was für mich das Beste ist. Verlass dich drauf! Morgen werde ich im Harem des Inka sein!« Sie blieb stehen und wischte Animaya eine Strähne aus der Stirn. »Du wirst bei mir sein, an deiner Schönheit kommt kein General vorbei.«
    Â»Lass doch!«, wehrte Animaya ab. Schon das zweite Mal an diesem Tag wurde ihr Aussehen in den höchsten Tönen gepriesen. Eitelkeit gehörte sich nicht. Und die Albina musste sie auch schnellstens vergessen.
    Â»He, ihr! Beeilt euch!«, zischte ihnen eine Torwache zu. »Die anderen sind schon alle am Fluss!«
    Animaya löste sich aus Pillpas Armen und drängte sich an den Wachen vorbei. Vor der Mauer duftete es herrlich nach Tausenden Blüten, nach feuchtem Moos und Harz.
    Nachts war der Wald böse. In diesen frühen Stunden aber war er schön und sicher. Die Albinas hatten sich zum Schutz vor der Sonne in ihre hohlen Bäume und Erdlöcher zurückgezogen. Angriffe der anderen kriegerischen Stämme waren auch nicht zu erwarten. Sie waren von ihrem Wesen her viel zu hinterhältig, als sich einem fairen Kampf zu stellen. Trotz ihrer Verkommenheit wussten sie instinktiv, dass sie gegen mehrere Dutzend Krieger, die um diese Zeit den Wald bewachten, keine Chance hatten. So wurde es im Haus der Gesetze gelehrt.
    Â»Das Leben sollte immer so sein«, schwärmte Pillpa und rannte übermütig los. »Komm, fang mich!« Mit großen, lautlosen Schritten sprang sie durch das Spalier der reglosen Krieger mit ihren gezückten Waffen. Falter in allen Farben des Regenbogens wurden aufgeschreckt und bildeten einen bunten, flatternden Rahmen um sie.
    Animaya blieb stehen und sah Pillpa nach. Wie sie lachte, sich voller Freude im Kreis drehte. Falls heute ihr letzter gemeinsamer Tag war, würde sie diesen Anblick für immer in sich bewahren. Pillpa, umrahmt von Schmetterlingen.
    Je näher Animaya dem Fluss kam, desto dichter standen die Wachen. Im Gewässer selbst bildeten sie eine undurchdringliche Sperre. Es wimmelte hier nur so von Krokodilen. Von Zeit zu Zeit schoben sich ihre knotigen grünen Rücken durch das klare Wasser. Sie stoppten aber jedes Mal außer Reichweite der menschlichen Barriere und kehrten wieder um. Weiter flussabwärts gab es lohnendere Plätze für sie. Die Kanalisation der Stadt spülte dort neben Exkrementen und faulem Maisstroh auch die Fleischreste in den Knochenfluss, die die Göttertiere übrig gelassen hatten. So war der Strom zu seinem Namen gekommen.
    Der Fluss vollführte einen weiten Bogen. In diesen Bogen hinein war Paititi einst von den Vorfahren gebaut worden – das Wasser diente als natürlicher Schutz für die Stadt. An einer besonders scharfen Kurve hatte der Fluss über die Jahrhunderte ein Becken aus dem Urwaldboden herausgespült: die Lagune. Über feine Rohre wurde zusätzlich klares Wasser im hohen Bogen hineingeleitet. Wie Wasserfälle ergoss es sich plätschernd über die Badenden. Seit ein paar Wochen war das ehemals reine Wasser aber stetig schlammiger geworden. Holz späne und Schlamm verklebten die Rohre, sodass sie von den Baderinnen immer wieder gereinigt werden mussten.
    Eigentlich gehörte der Fluss den Krokodilreitern, das flüsternde Volk brauchte ihn jedoch auch. Stadtviertel für Stadt vier tel wurden die Bewohner in einem festgelegten Rhythmus hier her zum Waschen gebracht. Heute aber hatten die Mädchen diesen paradiesischen Ort für sich allein – von der halben Armee an Bewachern einmal abgesehen.
    Als Animaya das Bassin erreichte, standen bereits zahlreiche Mädchen bis zu den Knien im Wasser. Leise quiekend spritzten sie sich gegenseitig nass. Als wollten sie noch ein letztes Mal kindisch sein, bevor sie alle offiziell in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurden.
    Der General, der an der Lagune für Ordnung sorgen sollte, drückte heute offenbar beide Augen zu. Morgen war schließlich auch für ihn der höchste

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